Bochum.. 20 Leser hatten im Rahmen der Sommer-Aktion “WAZ öffnet Pforten“ einen Gang durch die Bochumer Kanalisation gewonnen. In Fünfer-Gruppen und unter fachkundiger Aufsicht tauchten sie in die 1200 Kilometer lange Unterwelt ab. Gleich zu Beginn gruselten sie sich zwischen Abfällen und Fäkalien.
„Was treibt denn die Stadt hier wieder für einen Aufwand? Da is bestimmt was kaputt, da unten“, murmelte eine Passantin, als sie dieser Tage vor dem Bergbaumuseum an der beeindruckenden „Wagenburg“ aus einem Saug- und Spülwagen, einem Fahrzeug für das Kanalfernauge, weiteren Fahrzeugen und einem knappen Dutzend Mitarbeitern des Tiefbauamtes und der Technischen Dienste vorbeiging. Da mussten die 20 Leserinnen und Leser der WAZ schmunzeln. Denn der Aufwand galt ihnen. Sie hatten im Rahmen der Sommer Aktion „WAZ öffnet Pforten“ einen Gang durch die Bochumer Kanalisation gewonnen.
In seiner kurzen Einführung sorgte Uwe Seidel, Chef des Tiefbauamtes, für einen kurzen Gruseleffekt. Als er nämlich erzählte, dass er damals vor vielen Jahren Trauring, Uhr und Wertsachen vor dem Abstieg in den Untergrund hatte ablegen sollen. Zudem sollte er einen Notfall-Zettel mit einem Kontakt, wer denn zu benachrichtigen sei, wenn etwas passiere ausfüllen. Der Mann erlaubte sich einen Spaß, doch die Anekdote hatte einen durchaus ernsten Hintergrund.
1200 Kilometer Kanäle in Bochum
Es gibt im Bochumer Untergrund rund 1200 Kilometer Abwasserkanäle, wobei die kleinsten einen Durchmesser von 20 Zentimeter und die dickeren mit 2,60 Meter ohne Probleme zu durchlaufen sind. Durch Fäkalien und Abfälle steht dort oft Gas, wie etwa das hochentzündliche „Grubengas“ Methan, in den Kanälen. Vor dem Einstieg in den stadtintern so genannten „Besucherschacht“, weil eine Treppe dort recht komfortabel in acht Meter Tiefe führt, musste unter Tage alles gut durchlüftet werden.
„Rauchen oder auch Essen, wegen der hohen Keimdichte, ist dort absolut tabu“, erklärte Frank Großklags den interessierten WAZ-Lesern. Daher sind Spezialhandschuhe auch bei einem solchen Kurzbesuch Pflicht. Hernach müssen die Hände mit einem Desinfektionsmittel gründlich gereinigt werden.
Äußerst fachkundig zeigte sich WAZ-Leser Hermann Knappitsch, als er auf den sogenannten Selbstretter zeigte: „Solche Geräte kenn ich als ehemaliger Reviersteiger sehr gut.“ Gelernt hatte er noch auf Bochums zuletzt geschlossener Zeche, dem Bergwerk Hannover in Hordel. Selbstretter sind für Bergleute aber auch bei Wartungs- oder Reinigungsarbeiten in der Kanalisation lebenswichtig.
Einführung vor der Kulisse des Bergbaumuseums
Nach der Einführung vor der beeindruckenden Kulisse des Bergbaumuseums begann der Abstieg. Immer in Fünfer-Grüppchen und unter fachkundiger Führung ging es darauf hinunter. „Gut, dass die hier gelüftet haben“, raunte jemand seiner Nachbarin zu, obwohl es immer noch recht streng roch.
Unten, im Licht einer Neonröhre, fanden sich die Leser in einer Unterwelt wieder, die sonst für normale Bürger eine verbotene Welt bleibt. In der Spitze bis zu 10.000 Liter Wasser pro Sekunde können durch das mächtige Rohr, das direkt unter dem Europaplatz verläuft, hindurch schießen.
Bei zu viel Regen kann Wasser aus den Gullis schwappen
„Die Durchmesser unserer Kanäle sind so berechnet, dass statistisch nur einmal im Jahr ein solch starker Regen fällt, dass es die Kanalisation nicht packt“, erzählte Abteilungsleiter für die Abwasserentsorung Karl-Heinz Ahlbach. Dann flutet das Wasser unterhalb der Schmechtingwiese in ein großes Überlaufbecken oder kann sogar an manchen Stellen aus den Gulli-Deckeln schwappen. Ein Zeichen, dass zuviel Regen gefallen ist. Übrigens lernten die Besucher auch, dass nicht alle Abwässer in die Emscher, sondern ein großer Teil nach Süden über das Ölbachsystem und die Kläranlage am Kemnader See in die Ruhr abgegeben wird.
Ganz deutlich die Erkenntnis: Wenn wir immer mehr Fläche versiegeln und das Wasser nicht mehr durch das Erdreich versickern kann, wird es für die heimischen Bachläufe – dafür ist der derzeit trocken gefallene Hofsteder Bach ein gutes Beispiel – ganz schwer. Denn natürliche Gewässer sind ganz dringend angewiesen auf solches Wasser.