Bochum. .

„Muss ich sie jetzt küssen?“ Nico (15) mimt in einem Rollenspiel den Ehemann seiner Mitschülerin Franziska, der ihr ein befreundetes Paar vorstellen soll, das beide auf der Straße treffen. Die Jugendlichen besuchen die Hauptschule Lenneplatz und seit neuestem nachmittags einen Benimmkurs, den die Malteser an Bochumer Hauptschulen anbieten. Es geht locker zu in dem Klassenraum, wo Gabriele von Koch (62) sieben Jungs und zwei Mädels die Grundregeln guten Auftretens beibringt.

"Was ich hier lerne, kann ich überall gebrauchen."

Keiner empfindet den Stoff als lästige Pflicht; alle haben sich freiwillig zum Kurs angemeldet. „Auf Druck der Eltern wäre wohl keiner von ihnen gekommen. Die wollten es selbst“, sagt die Rentnerin. Und alle arbeiten rege mit, wie Dustin (15): „Ich konnte mir zuerst nichts darunter vorstellen. Jetzt weiß ich: Was ich hier lerne, kann ich überall gebrauchen.“ Natürlich auch später im Beruf.

Hans Straetling, Klassenlehrer der 9a, aus der sich sieben Jugendliche für den Kurs entschieden haben und zwei aus der Parallelklasse, hält gutes Benehmen für eine Lebensvorbereitung. „Im Schnitt haben 50 Prozent unserer Schüler kein intaktes Elternhaus mehr. Ihnen fehlen wichtige Voraussetzungen, um Chancen ergreifen zu können. Was sie hier lernen – Auftreten, Höflichkeit, Kleidung, Hygiene – hilft später im Job. Leider haben sich einige, die es nötig hätten, gar nicht erst für den Kurs gemeldet.“

Peinlichkeiten gibt es nicht

Jene aber, die jeweils montags nach Schulschluss länger bleiben, sind sehr engagiert. Die Chemie stimmt zwischen Gabriele von Koch am Lehrerpult und den Jugendlichen ihr gegenüber. Es wird viel gelacht während des „Unterrichts“, Peinlichkeiten gibt es nicht.

„Inzwischen weiß ich, wie man sich bei Tisch korrekt verhält; nur mein Bruder, der macht noch einiges falsch“, berichtet Franziska. Ein Thema, das auch Nico am Herzen liegt. „Wenn ich etwa mit Arbeitskollegen mal essen gehe, kann ich froh sein, dass ich das gelernt habe.“

Den Neuntklässlern stehen demnächst Praktika bevor. Alle im Benimmkurs haben sich einen Platz sichern können. Nico probiert sich als Kfz-Mechatroniker, seine Banknachbarin Denise geht in eine ergotherapeutische Praxis. „Das wäre auch mein Wunschberuf. Natürlich werde ich da viel Kontakt zu Patienten haben, da fühlt man sich sicherer, wenn man weiß, wie man auftreten soll.“

Gesellschaftliche Rangordnungen beachten

Augenkontakt halten, höflich bleiben, nicht zu laut sprechen, Intimzone (Abstand) beachten: Die Grundregeln beim Grüßen sitzen bei den Schülern, wie sich beim Wiederholen des Stoffs zeigt. Zu beachten sind auch gesellschaftliche Rangordnungen: Der Arbeitgeber steht über dem Mitarbeiter, der Lehrer über dem Schüler. „Rennt also beim Bewerbungsgespräch nicht mit ausgestrecktem Arm auf den Chef zu. Der muss signalisieren, ob er Hände schütteln will“, rät Gabriele von Koch.

Nun spielt Dustin einen Arzt, der Denise als seine Patientin begrüßt: Er steht auf, geht ihr entgegen. Die Kursleiterin lobt und kritisiert: „Alles richtig gemacht, nur: Du hast ihr die Hand hingehalten wie einen toten Fisch.“ Beide probieren’s erneut, diesmal mit kräftigem Händedruck – zu viel, findet Gabriele von Koch: „Jetzt schüttelt ihr euch die Arme aus dem Gelenk.“

Sie gehört zu insgesamt 16 Ehrenamtlichen, die sich auf den Aufruf der Malteser gemeldet haben, um Benimmkurse an Hauptschulen anzubieten. „Ich bin im Ruhestand, wollte aber noch etwas tun.“ Für alle gab’s eine Einführung ins Thema. „Das meiste wusste ich, aber eben nicht alles. So etwa: Darf man Spaghetti schneiden? (nein).

Abschlussessen im Renaissance-Hotel

Der Tisch-Knigge steht in der Schulküche auf dem Programm an einem der nächsten Montage. Erlernte Tischmanieren können die neun Schüler zum Abschluss des Kurses unter Beweis stellen: Als Finale lockt ein Menü im Renaissance-Hotel. „Es gibt einen enormer Bedarf an Knigge-Kursen. Normalerweise wäre es die Aufgabe der Eltern, den Kindern Höflichkeit und Stil mitzugeben, doch das passiert immer weniger.“

Sie will auf jeden Fall weiter an Hauptschulen ehrenamtlich lehren. „Ohne Sponsoren können die Malteser das Angebot nicht aufrecht erhalten. Das Abschlussessen kostet eben.“ In diesem Jahr kommt der USB dafür auf.