Bochum. . Vor dem Bochumer Landgericht läuft seit über drei Jahren ein rekordverdächtiger Strafprozess: Die Verteidiger haben bereits 42 Befangenheitsanträge gestellt. Richterin soll hämisch gegrinst haben.

Vor dem Landgericht spielt sich zurzeit ein rekordverdächtiges Drama ab. Die 6. Strafkammer verhandelt gegen einen mutmaßlichen Betrüger (53). Seit Beginn des Prozesses sind alle Beteiligten schon drei Jahre und drei Monate älter geworden. Das Klima ist frostig bis giftig: Die Verteidiger haben schon 42 Befangenheitsanträge gegen die Richter gestellt. Am vorigen Freitag war Sitzungstag Numero 94. Die Kosten für den Steuerzahler dürften längst ins Sechsstellige angewachsen sein, zumal die Verteidiger von Vater Staat bezahlt werden.

In der Anklage geht es um rund zwei Millionen Euro Schaden, den Autobanken von 2002 bis 2005 erlitten haben sollen. Die Masche: Leasingnehmer gaukeln mit falschen Identitäten und Finanzdaten ihre Solvenz vor, erhalten ein teures Auto, bezahlen aber die Raten nicht - und tauchen ab. Mit dem Auto. Der Angeklagte, ein Waldarbeiter, weist die Anklagevorwürfe aber zurück.

„Irgendwann war es mir zu blöde. Ich erwarte, dass sich ein Gericht neutral verhält“

Gleichzeitig geht es aber auch ums rein Menschliche in diesem Prozess. Verteidiger Heinz Kupperian wirft einer Richterin zum Beispiel vor, „hämisch“ gegrinst und „Grimassen“ gezogen zu haben. „Irgendwann war es mir zu blöde. Ich erwarte, dass sich ein Gericht neutral verhält“, sagte er der WAZ. Mittlerweile haben die Verteidiger über 100 Beweisanträge gestellt. Auch das hat das Prozessklima eingetrübt. Kupperian: „Je umfangreicher die Anträge der Verteidigung wurden, desto kürzer wurde die Begründung der Ablehnung.“

„Das ist nach meiner Auffassung ein absoluter Revisionsgrund“

Wie verbissen diese Strafsache ausgefochten wird, zeigt ein Streit um die Uhrzeit eines Sitzungstages. Kupperian zufolge hatte die Kammer um 9 Uhr geladen und auch verhandelt. Im Aushang vor der Saaltür habe aber 11 Uhr gestanden. Um 11 Uhr sei die Sitzung aber längst wieder vorbei gewesen. Somit hätten die Richter gar keine Öffentlichkeit gewährleistet. „Das ist nach meiner Auffassung ein absoluter Revisionsgrund.“

Zu allem Überfluss ist vor rund drei Wochen der Angeklagte auch noch in U-Haft gesteckt worden. Er sitzt jetzt in der Krümmede. Die Kammer befürchtete, dass er sich dem Prozess entziehen wolle. Der Mann soll einen leichten Schlaganfall erlitten haben. Den vom Gericht festgesetzten Termin beim Amtsarzt, der die Verhandlungsfähigkeit überprüfen sollte, nahm der Angeklagte aber nicht wahr. Ob schuldhaft oder nicht - auch dies ist umstritten.

Drei Jahre Haft haben die Richter dem Angeklagten angeboten - aber nur für den Fall, dass er geständig wird. Sonst könnte es mehr geben. Die Fronten scheinen aber hart wie Beton. Auch am Freitag wieder warf ein Anwalt dem Gericht eine „prozesswidrige Zwischenentscheidung“ vor. Sämtliche Befangenheitsanträge sind bisher aber abgeschmettert worden, weil sie unbegründet oder unzulässig seien. Das Gericht sah in einigen Verteidigeranträgen den rechtsmissbräuchlichen Versuch, den Prozess zu verschleppen.

Laienrichter haben schon 94 Prozesstage mit dem Angeklagten verbracht

Am Montag, dem 14. November, treffen sich die Streitenden zum 95. Mal. Mit dabei sind auch wieder ein selbstständiger Kaufmann und ein Rentner aus Bochum. Sie sitzen - neben einer Berufsrichterin und zwei Berufsrichtern - als ehrenamtliche Richter in diesem bitteren Fall.

Ein früherer Angeklagter (44) ist in diesem Prozess bereits zu zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Das Verfahren gegen einen weiteren Angeklagten wurde gegen 200 Sozialstunden eingestellt.