Bochum. .
„In Deutschland wird zu viel operiert.“ Behauptet nicht etwa eine Patientenschutz-Organisation. Sondern sagen die Operateure selbst: 400 Chirurgen erörtern seit Donnerstag im Ruhr-Congress, wie Komplikationen auf dem OP-Tisch zu verhindern, zu erkennen und zu behandeln sind.
Zum zweiten Mal nach 1988 ist die 650 Mitglieder starke Vereinigung Niederrheinisch-Westfälischer Chirurgen mit ihrer Jahrestagung in Bochum zu Gast. Zum ersten Mal diskutieren die Mediziner dabei eingehend über Schwierigkeiten in ihrem Hand-Werk. Die treten zunehmend auf. „Die Deutschen werden immer älter und dicker. Bald sind zehn Prozent Diabetiker. Die Zahl der Vorerkrankungen steigt. Damit verändern sich vielfach auch die Vorzeichen bei einer OP“, weiß Prof. Dr. Richard Viebahn (Knappschaftskrankenhaus Langendreer), Vorsitzender der Chirurgen-Vereinigung und Tagungspräsident.
Mehr denn je müssen die Operateure die Eingriffe maßgeschneidert planen und vornehmen, um Komplikationen vorzubeugen. „Beispiel: Wie verhindern wir eine Wundheilstörung oder einen Infekt bei einem Diabetiker, der an der Harnröhre operiert wird?“, fragt Prof. Viebahn und fordert das Mitwirken der Patienten ein: „Vertrauen Sie Ihrem Arzt alle Vorerkrankungen und Medikamente an.“ Das werde allzu oft versäumt: „aus Unwissenheit, etwa weil der Patient Aspirin nicht für ein Medikament hält, oder aus Vergesslichkeit, die die Stresssituation mit sich bringt.“ Die Folgen der ärztlichen Unwissenheit können fatal sein.
Sehr wohl nehmen sich die Chirurgen auch selbst in die Pflicht. „Es werden zu viele Operationen ausgeführt, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich wären“, betonte Prof. Viebahn im WAZ-Gespräch. Als Beispiele nennt er Gelenkprothesen, Blinddarm- und Gallenblasen-OPs und Brustamputationen. Mancher Eingriff erfolge „vor allem aus wirtschaftlichen Gründen“. Ausdrücklich wolle der Kongress daher auch einen „Appell an die ärztliche Verantwortung“ richten.
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Die Nabelschau macht vor Kunstfehlern nicht Halt. „Keine Frage: Auch Ärzte machen Fehler. Damit wollen und müssen wir offen umgehen“, bekräftigt Prof. Viebahn und nennt Zahlen aus dem Jahr 2008. Damals befassten sich die Schlichtungsstellen mit bundesweit 11 000 Fällen, bei denen Patienten ihren Ärzten Fehler vorwarfen. „In 29 Prozent der Fälle wurde den Kollegen tatsächlich eine fehlerhafte Behandlung nachgewiesen“, so Prof. Viebahn.
Gemessen an den Gesamtzahlen sei die Fehlerquote allerdings nach wie vor gering. Durch die (erwünschte) öffentliche Diskussion dürfe das Vertrauen der Patienten in die ärztliche Kunst keinen Schaden nehmen. Der Chefarzt: „Wir leben bei allen Problemen nach wie vor in einem Land mit einem der weltweit besten Gesundheitssysteme. Fehler passieren. Aber immerhin reden wir darüber.“