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Jeder 20. Bochumer besuchte 2010 eine Selbsthilfegruppe. Dorothée Köllner vom Paritätischen Wohlfahrtsverband erzählt, was hinter dieser Zahl steckt.

Jeder 20. Bochumer besuchte 2010 eine Selbsthilfegruppe – jedenfalls im Schnitt. 240 Selbsthilfe-Kontaktstellen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gibt es in unserer Stadt. Was hinter den Zahlen steckt, wie sich eine Selbsthilfegruppe gründet und wo die Nöte am größten sind, darüber sprach Leiterin Dorothée Köllner mit WAZ-Mitarbeiterin Jimena Salloch.

Wie gründet sich eine Selbsthilfegruppe?

Dorothée Köllner: Grundsätzlich kann sich jede Einzelperson an uns wenden, die den Wunsch hat, eine Gruppe zu gründen. So haben wir etwa die der „Verwitweten“ neu im Programm. Wir starten mit einem Einzelgespräch, in dem ich zunächst beratend zur Seite stehe. Ich gebe Tipps, wie die Person an die Öffentlichkeit gelangt, stelle das Anliegen der Gruppengründung auf unserer Internetseite (www.selbsthilfe-bochum.de) vor und schicke Handzettel an soziale Beratungsstellen, wenn gewünscht. Anschließend organisiere ich einen Raum und moderiere die ersten Treffen.

Reagieren die Menschen zu Beginn der Treffen eher schüchtern oder schämen sich gar?

Köllner: Das kommt ganz darauf an. Die meisten Suchtpatienten oder Menschen mit psychischen Problemen verhalten sich anfangs tendenziell eher zurückhaltend. Ganz im Gegensatz zu chronisch Kranken, sie sprudeln wie eine Wasserquelle, berichten von ihrer Odyssee zu Ärzten, die sie bereits hinter sich haben. Doch für alle gilt: Aus Menschen, die sich nicht kennen, formiert sich nach und nach eine Gruppe. Natürlich gibt es auch jene, für die sich eine Gruppentherapie gar nicht eignet und denen ich eine professionelle Einzelberatung ans Herz lege.

Gehen psychische Erkrankungen oftmals mit finanziellen Problemen einher?

Köllner: Leider ist es heutzutage schon so, dass viele Faktoren aufeinandertreffen: Schulden, Trennung, Depression, Kündigung. Der finanzielle Abstieg erfolgt durch Hartz IV wesentlich rascher als noch vor Jahren – mit verheerenden Folgen. Der soziale Fall belastet, macht mitunter depressiv und bringt nicht selten ganze Familien auseinander. In solchen Fällen muss geklärt werden, an welcher Stelle überhaupt geholfen werden kann, also ob eine Selbsthilfegruppe „Depression“ den Betroffenen weiterbringt oder eher die Schuldner- oder Partnerberatung – oder alles zusammen.

Selbsthilfe erspart dem Sozial- und Gesundheitswesen erhebliche Kosten, sagen Sie. Wie funktioniert das?

Köllner: In Bezug auf chronisch Kranke habe ich beobachtet, dass solche, die eine Selbsthilfegruppe besuchen, ein enormes Wissen anhäufen. Sie tauschen sich aus über neue Behandlungsmöglichkeiten, setzten sich mit ihrer Krankheit kritisch auseinander. So kommt es oftmals zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient und spart somit lange Umwege. Der zweite Aspekt liegt darin, dass es Menschen, die sich in einer Gruppe zusammentun, einfach besser geht. Und durch den Austausch belasten sie nicht ausschließlich ihr soziales Umfeld mit ihrer Krankengeschichte. Hinzu kommt, dass Selbsthilfegruppen für Nachsorge im Gesundheitssystem und somit für eine geringere Rückfallquote sorgen können.

Wenn man an eine Selbsthilfegruppe denkt, herrscht wohl in den meisten Köpfen noch immer das Bild mürrisch dreinblickender Menschen, die in einem Stuhlkreis sitzen . . .

Köllner: Mitnichten! Es wird doch nicht nur gejammert. Wir lachen sehr viel, tauschen uns aus – und natürlich ist auch jede Gruppe anders. Besonders beeindruckt hat mich einst eine autonome Suchtgruppe. Alle waren alkoholsüchtig und noch sehr jung. Die Art und Weise, wie ehrlich und menschlich sie miteinander umgegangen sind, war schon sehr besonders.