Bochum. Eine Kult-Tour zwischen Tresen und Typen: Der Brauerei-Chef Hugo Fiege stellte der WAZ bei einem Bummel seine Kneipen-Klassiker vor. Von Elfriede bis Lieselotte.

Elfriede ächzt, Moritz grunzt. „Ich hab’ im Februar aufgehört zu rauchen. Seitdem krieg’ ich schlecht Luft“, japst die 71-Jährige und schafft es nur mit Mühe, ihr Hängebauchschwein aus dem Holzverschlag zu hieven: „Komma bei die Mutti!“

Die Wirtin und ihr Borstenvieh: zwei Kultfiguren im Haus Fey, eine von vielen urigen Gaststätten, die die Bierstadt Bochum zu bieten hat. Lebenswert. Liebenswert.

„Die Kneipe: Das ist für mich Kultur“, schwärmt Hugo Fiege. Klar: Der Chef der Privatbrauerei lebt in vierter Generation vom Gerstensaft. Und das nicht schlecht. Doch wer mit dem 58-Jährigen über seine Profession spricht, spürt, dass es auch Passion ist, die ihn mit den Tresen und Typen verbindet. Mit Hochachtung spricht er über die Wirte, die oft seit Jahrzehnten am Zapfhahn stehen und ihre Lokale prägen. „Entscheidend“, sagt Fiege, „ist der Vogel, der im Käfig piept, und nicht der Käfig.“

Die alten, rustikalen, mitunter müffelnden Pinten ohne Pomp und Hochglanz haben es ihm besonders angetan. „Kommen Sie mit! Ich zeig’ Ihnen einige unserer Klassiker“, lud Fiege die WAZ zum Kneipenbummel ein. Vorweg gesagt: Jede neumodische Event-Gastronomie kann gegen Elfriede & Co. nicht anstinken.

Laufband statt Theke

Die Kult(ur)-Tour startet im Herzen der City. Das Fiege-Kläppken (und mancher Gast) ist schon gut gefüllt, als Wirtin Cornelia Gaede den Brauerei-Chef um 18 Uhr an der Luisenstraße begrüßt. „Kommt das Kindlein aus der Wiege, greift es gleich zum Bier von Fiege“, zeugt ein Werbeschild aus den 50er Jahren von bierseliger Vergangenheit. Conny, wie ihr kühles Blondes mit herbem Charme bedacht, trauert den alten Zeiten hinterher. „Ich halte meine Stammkunden. Aber viele Rentner stehen heutzutage auf dem Laufband statt an der Theke. Sparclubs? Lieber werden Aktien gekauft.“ „Das Freizeitverhalten hat sich verändert. Wir merken das an der Verschiebung zugunsten der Flasche“, ergänzt Hugo Fiege.

Auch Manfred Veit kann sich auf seine treuen Seelen verlassen. „99 Prozent Stammgäste. Hier geht’s familiär zu“, sagt der Wirt der Gaststätte Zum Steinknapp an der Markstraße. Das Telefon klingelt. „Hallo Manni. Kann ich mal meine Frau sprechen?“ Wenig später klebt Marita an der Muschel. Die Holde in der Kneipe anzurufen: hier total normal. Die Wirte leben die liebevolle Wechselbeziehung vor. Manfred führt die Kneipe mit Claudia. „Wir sind geschieden. Aber am Tresen verstehen wir uns besser als je zuvor.“

Paul Kleine erwartet uns im Keglerheim an der Engelsburger Straße. Noch so ein gastronomisches Urgewächs. „Was darf ich Ihnen anbieten?“ – „Fiege, wenn Sie nichts Besseres haben“, schmunzelt Fiege. In fünfter Generation betreiben die Kleines die Eppendorfer Institution. „Schön, wenn man in einer Wirtschaft meinen Namen kennt“, sagt ein Rentner. Das Pils kostet einsdreißig. Standard. Wie Currywurst und Mettknacker.

Highlight im denkmalgeschützten Haus

„Wenn ein Schiff vorüberfääährt“, schmachtet Julio Iglesias im Kartenhaus im Griesenbruch. „Hier war ich noch nie“, sagt der Redakteur. „Ich auch nicht“, flüstert Fiege, der von Wirtin Brigitte Burge umso herzlicher empfangen wird. Fritz erzählt dem WAZ-Mann einen Brüller. Neulich habe er seine Frau gefragt: Warum hat der Hund die Zeitung nicht gebracht? Sie: Die Nachbarin muss sie abbestellt haben.“ Die Truppe johlt. „Wenn mal ein Fremder reinkommt, kommt der auch wieder“, sagt Brigitte. Mal schauen.

„Hier standen die Leute früher in Dreierreihen an der Theke“, kehrt Hugo Fiege ins Alt Riemke an der Herner Straße ein. Heute Abend reicht’s bei Wirtin Marion Drüke nur zur Einerreihe. Überraschung: Es wird bayerisch gesprochen. Gerüstbauer Franzl kippt seinen Frust runter. 2009, beim Spiel der Bayern gegen den VfL, hat er Marion aus Bochum kennen und lieben gelernt. Er bereut nicht, zu Marion gezogen zu sein. Dass er arbeitslos ist, nagt dagegen am Nervenkostüm des Bajuvaren.

Gegen 22 Uhr sind wir bei Elfriede. Fiege hat ein „Highlight“ versprochen – und maßlos untertrieben. Das Haus Fey an der Hofsteder Straße muss unter Denkmalschutz gestellt werden. Seit 43 Jahren führt Elfriede Fey das Kleinod in der Speckschweiz. Der Schankraum: eine Zeitreise in die 50er. Der Biergarten: ein Gedicht. Die Wirtin: ein Original mit höchstem Unterhaltungswert. Ihr Kneipenzoo: ein tierischer Spaß. Star ist das Hängebauchschwein Moritz, das zum Geburtstag Frankfurter Kranz futtern darf.

Die dienstälteste Wirtin der Stadt

Nach der unglaublichen Elfriede und einem Abstecher zu den Dombrowski-Brüdern in der Weiher Stube der feierliche Absacker. Vor 45 Jahren, erzählt Fiege, habe er sein erstes Pils getrunken. Die Wirtin, die ihm einst das Helle zapfte, schmiedet noch immer das Hufeisen am Hellweg. Lieselotte Schrecker ist mit 77 Lenzen die wohl (dienst-)älteste Wirtin der Stadt. „Drei Generationen haben hier gefeiert. 70 Prozent des Publikums sind die Söhne und Töchter alter Stammgäste“, strahlt Liz und erzählt aus einem prallen Leben, das bei allen Aufs und Abs glücklich zu nennen ist. Taschenbuchreif wäre es allemal.

„Sauber austrinken!“, lautet einer von Liz’ Klassikern. Fiege und der Redakteur tun wie befohlen. Alle Neune sind geschafft, die Gläser leer, die Herzen voll. Kneipe: Das ist Kultur. Lasst sie nicht sterben.