Bochum. . Die Bochumer Polizei steht unter Schock. Eine leitende Kriminalbeamtin hat sich an ihrem Schreibtisch mit ihrer eigenen Dienstwaffe erschossen. Das bestätigte am Freitag der Chef der Bochumer Kripo, Andreas Dickel, auf Nachfrage von DerWesten.

Das furchtbare Drama passierte bereits am Freitag, 13. Mai, in der Polizeidienststelle Bochum-Ost. Aber erst jetzt wurde der Vorfall öffentlich bekannt. Die 55-jährige Kriminalhauptkommissarin, eine Familienmutter, hatte wie an fast allen Tagen an einer Morgenbesprechung teilgenommen. Danach ging sie in ihr Büro und schloss sich ein. Sie räumte ihren Schreibtisch auf und hinterlegte für die Polizeiführung einen Abschiedsbrief. Dann griff sie zu ihrer Dienstpistole, wickelte sie in ein Handtuch ein und schoss sich in den Kopf. Sie sackte sofort tot zusammen.

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Ihre Kollegen hörten keinen Knall. Erst als sie die Verriegelung der Tür bemerkten, wurden sie besorgt. Sie brachen die Tür auf und fanden die Leiche. Die Beamtin litt offenbar an Depressionen. Sie hinterlässt einen Ehemann und erwachsene Töchter.

Vier Jahre an Abschiedsbrief geschrieben

Der Abschiedsbrief ist ein erschütterndes Dokument tiefer Verzweiflung. Vier Jahre hatte sie auf ihrem Dienst-PC an dem Brief geschrieben. Der letzte Eintrag stammt vom Tag, bevor sie aus dem Leben schied. Die 55-Jährige beschreibt darin langjährige Probleme mit ihrer Situation als Kriminalbeamtin und tiefe innere Konflikte mit dem eigenen, hohen Anspruch an ihre Leistungskraft. Kripo-Chef Dickel: „Sie empfand sich als leistungsschwache Mitarbeiterin, was den objektiven Feststellungen aber gar nicht entsprach.“ Sie sei „sehr kompetent, immer souverän und immer freundlich“ gewesen.

Ihr Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, war offenbar länger ausgereift. Eine Obduktion, so begann die Kripo-Beamtin den Abschiedsbrief, sei nicht notwendig. Eine Fremdeinwirkung sei ausgeschlossen. Bereits seit einigen Jahren habe sie Suizidabsichten.

Selbstbewusstsein ging gegen Null

Vor neun Jahren war sie in eine leitende Stellung befördert worden. Wie sie selbst schrieb, geschah dies auf Zureden der Kollegen. In der Chefrolle kam sie aber nicht so wie erwartet zurecht. Vor einigen Jahren wurde sie in eine andere, etwas niedrigere Leitungsfunktion versetzt. Einvernehmlich, wie die Polizei heute sagt. Vor wenigen Monaten wurde seitens der Staatsanwaltschaft dann ein Straf- und Disziplinarverfahren wegen des Verdachts der Strafvereitelung gegen sie eingeleitet. Sie soll einen Durchsuchungsbeschluss nicht ausgeführt haben. Die Polizei selbst wertete den Vorfall offenbar nicht als schwerwiegend. Trotzdem könnte der Vorgang die ohnehin belastete Seele der Beamtin weiter bedrückt haben.

Ihr Selbstbewusstsein, schrieb sie im Brief, sei gegen Null gegangen. Immer mehr habe sie sich eingeigelt. Suizidgedanken habe sie immer nur aufgeschoben, weil irgendwelche Ereignisse angestanden hätten, die sie ihrer Familie nicht habe verderben wollen.

Bitte um "Beisetzung im allerengsten Familienkreis"

Weder zu Hause noch im Kollegium soll sie über ihre psychische Last geredet haben. „Sie hatte nicht die Kraft gehabt, um Hilfe zu bitten. Das ist das Tragische an ihrem Tod“, sagt Kripo-Chef Dickel. Eine direkte Ursächlichkeit zwischen dem Strafverfahren und der Selbsttötung hält er aber für zweifelhaft: "Der Brief zeigt für mich in aller Deutlichkeit, dass ein langer Prozess, der sich zu einer echten Depression verfestigt hat, sie immer mehr in einen Tunnel getrieben hat, in dem sie die Wirklichkeit um sie herum nicht mehr so wahrnehmen konnte, wie sie auch war. Denn sie war im Kollegenkreis und bei der Führung geschätzt, geschätzt als das, was sie war."

Am Ende des Abschiedsbriefes hatte seine Ex-Kollegin geschrieben: Sie zerfließe nicht vor Selbstmitleid, sie selber habe sich in die Situation gebracht, die Schuld könne sie keinem anderen geben. Außerdem müsse niemand anfangen zu grübeln, ob man trotzdem zu ihrer Beisetzung gehen solle. Sie sei schon immer gegen große Beisetzungen gewesen und bitte um eine Beisetzung im allerengsten Familienkreis.

Tat für Ehemann „nicht erklärbar“

Der Ehemann und Vater der gemeinsamen Töchter, ein Polizeibeamter außerhalb des Bochumer Bezirks, sagte am Freitag , dass die Tat für ihn „nicht erklärbar“ sei. Er habe den Eindruck gehabt, dass seine Frau in ihrem Beruf zufrieden gewesen sei. Es seien ihm keine Anzeichen für einen geplanten Suizid aufgefallen. Vielmehr habe er geglaubt, dass seine Frau in ihrem Beruf zufrieden gewesen sei. Er mache jetzt der Polizeibehörde seiner Frau aber auch keine Vorwürfe.

Die Polizei hat das menschliche Drama intern bereits untersucht. Die Ermittlungen führten die Beamten in Dortmund, um Neutralität zu gewährleisten, wie es hieß. Wie der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Bochum, Holger Richter, am Freitag auf DerWesten-Anfrage sagte, läge die Ursache aber weder an einer möglichen Arbeitsüberlastung noch an sozialer Kälte am Arbeitsplatz. Offenbar gab es große psychische Probleme. Der 1. Polizeihauptkommissar meint über die Verstorbene: „Sie hat in ihrem Wirkungsbereich - nach bislang bekannten Feststellungen - alle Leistungserwartungen erfüllt und vermutlich aus ihrem eigenen Blickwinkel höhere Erwartungen als tatsächlich abverlangt entwickelt.“

Kondolenzbuch: "Du warst wertvoll"

Unabhängig von diesem Fall gebe es bei der Polizei aber sehr wohl eine Arbeitsüberlastung. Landesweit. „Die Auftragsbücher sind über alle Maßen voll“, sagte er bildlich. Insbesondere bei der Bereitschaftspolizei, aber auch bei der Kripo und beim Wach- und Wechseldienst. Die Staatsanwaltschaft hatte nach dem furchtbaren Vorfall ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet, dies aber eingestellt, weil es eindeutig Suizid gewesen sei, wie Staatsanwalt Danyal Maibaum sagt.

Im Internet wurde von Bekannten der Verstorbenen ein Kondolenzbuch eingerichtet. Darin schreibt jemand: „Du hast dem Bürger geholfen, den Kollegen, jungen Beamten hast Du das Laufen gelernt. Du warst wertvoll, nur wusstest Du es leider nicht.“ Jemand anderes schrieb: „Der Schock sitzt tief und die Trauer ist groß. Deine fürsorgliche Art bei Groß und Klein und die Art, wie Du mit allen umgegangen bist, haben Dich zu etwas ganz besonderem gemacht. Wir sind traurig, dass Du nicht mehr da bist.“

Die Todesnachricht wurde der Familie der 55-Jährigen vom Kripo-Chef Andreas Dickel überbracht. „Das bleibt auch nach 32 Dienstjahren nicht in den Kleidern hängen“, sagte er gegenüber DerWesten. Auch bei der Kripo-Beamtin zu Hause war ein Abschiedsbrief gefunden worden.