Bochum. Die Rede eines Ratsmitglieds in Bochum über eine Gedenkstätte für Nazi-Opfer hat Wellen geschlagen. Das Mitglied „Der Partei“ hat nun reagiert.

Eine Rede von Ratsmitglied Paul Tobias Dahlmann (Die Partei) hat im Stadtrat von Bochum zu einem Eklat geführt. Mehrheitlich über alle Parteien hinweg haben die meisten der Anwesenden der jüngsten Sitzung den großen Ratssaal verlassen. Dahlmann hatte, als es um Pläne für eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer des NS-Euthanasieprogramms ging, Bezug auf das jüngst vom Bundestag beschlossene Selbstbestimmungsgesetz genommen. Das hat nun Folgen.

Grünen-Fraktionschef Pewny: „Das darf nie wieder passieren“

Mit seinen Äußerungen habe er Dinge relativiert, „die nicht relativierbar und die unverhandelbar sind“, so Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) in der Ratssitzung. Grünen-Fraktionsvorsitzender Sebastian Pewny sprach von einem „schändlichen Beitrag“ und davon, dass er es nicht für möglich gehalten habe, „dass jemand auch nur den Versuch unternimmt, Verbrechen aus der NS-Zeit mit dem Gesetzgebungsprozess unserer demokratischen Republik gleichzusetzen. Das geht nicht, das darf nie wieder passieren.“ In dem Gesetz geht es u.a. darum, dass trans-, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen künftig die Möglichkeit haben, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen im Personenstandsregister durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen.

Dahlmann, der seit der Kommunalwahl 2020 als Vertreter der – nach eigener Einschätzung – satirischen Partei einen Platz im Stadtrat hat, hatte zu Beginn seines Redebeitrags angekündigt: „Ich muss sie warnen, dass einige Sachen, die ich sagen werde, ihnen nicht gefallen werden.“ Tatsächlich verließen in der Folgezeit viele Ratsmitglieder ihren Platz, gingen nach draußen auf den Flur und kehrten erst nach einige Minuten wieder zurück. OB Eiskirch hatte dem Redner zwischenzeitlich geraten, „zum Ende zu kommen“.

+++ Wollen Sie keine Nachrichten mehr aus Bochum verpassen? Dann abonnieren Sie hier unseren kostenlosen Newsletter! +++

An Dahlmann gerichtet, sagte Eiskirch: „Ich verstehe durchaus, dass sie diesen Punkt genutzt haben, um ein anderes Thema, was sie belastet, zur Sprache zu bringen. Aber man sollte es nicht so machen, dass es eine Relativierung mit Verbrechen des Nationalsozialismus geben kann oder auch nur der Eindruck entsteht. Das traue ich ihnen persönlich auch gar nicht zu.“

Empörte Ratsmitglieder verlassen in großer Zahl den Saal

Als „krude“ bezeichnet FDP-Fraktionschef Felix Haltt die Rede. Er erinnert daran, dass Dahlmann selbst als „finsterer Magier firmiert“ und dass er in der konstituierenden Sitzung des Rats mit einem Zauberstaub in den Saal gekommen ist. „Ich weiß gar nicht, ob er Herr Dahlmann selbst weiß, wohin er mit seinem Redebeitrag wollte. Er ist vom Euthanasieprogramm der Nazis zum Selbstbestimmungsrecht der Ampelregierung gekommen.“

Nach ersten Unmutsäußerungen habe dann die Mehrheit der Ratsmitglieder den Saal verlassen. Auch er selbst habe dies getan. Er könne sich nicht erinnern, dass so etwas im Rat schon einmal vorgekommen sei. „Und ich bin jetzt auch schon eine ziemliche Zeit lang dabei“; nämlich deutlich mehr als zehn Jahre.

Umstrittene Rede könnte Konsequenzen haben

Die umstrittene Rede könnte ernsthafte Konsequenzen für das Ratsmitglied haben. SPD-Fraktionschef Burkart Jentsch hat gefragt, ob die Stadt Bochum Strafanzeige stellen wird. „Damit werden wir uns selbstverständlich auseinandersetzen“, so der Oberbürgermeister.

Politisch hat die Rede bereits Folgen. Die Stadtgestalter haben die Kooperation mit Dahlmann aufgekündigt, fristgemäß zum 31. August, wie es in einer Stellungnahme heißt, da das Partei-Ratsmitglied „wenn auch unbeabsichtigt, NS-Verbrechen verharmlost“ habe. Trotz mehrfacher Möglichkeiten und Aufforderungen, sich für seine unpassenden Äußerungen öffentlich zu entschuldigen, sei Dahlmann „dazu ausdrücklich nicht bereit“ gewesen.

Ratsmitglied bittet, seine Rede aus dem Rats-TV zu entfernen

+++ Folgen Sie der WAZ-Lokalredaktion Bochum auf Instagram! +++

„Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, das richtige Anliegen zu haben, nämlich die körperliche Unversehrtheit des Menschen“, so Dahlmann im Gespräch mit dieser Redaktion. Er habe überhaupt nicht die Chance bekommen, seine Position klar auszuführen. Indes räumt er ein, seine Rede sei „taktisch falsch aufgebaut gewesen.“ In die Ecke von Verschwörungstheoretikern und Vertretern rechten Gedankenguts möchte er nicht gerückt werden: „Ich kann versichern, dass ich keinen bösen Absichten habe.“ Er befürworte auch ausdrücklich das Mahnmal für die Opfer des NS-Regimes. Darum sei es in seinem Redebeitrag auch gar nicht gegangen.

Allerdings. Mittlerweile hat Dahlmann nach Auskunft der Stadt gebeten, seinen Redebeitrag aus dem Rats-TV zu entfernen. Seit November 2021 werden die Ratssitzungen in Bochum live im Internet übertragen und sind Tage später dann im Archiv auf der Seite der Stadt zu sehen. Die aktuelle Sitzung ist noch nicht hinterlegt.

Stadtgestalter verlieren erst Fraktions- und nun Gruppenstatus

Die Stadtgestalter haben derweil einen weiteren politischen Mitstreiter verloren. In der vorangegangenen Ratssitzung im März hatte Stadtgestalter-Mitglied Carsten Bachert seinen Austritt aus der Fraktion bekannt gegeben. Dadurch war der Fraktionsstatus verloren gegangen. Und nun der Gruppenstatus. Das sei bedauerlich, so Ratsmitglied Volker Steude (Stadtgestalter). „Es schränkt natürlich unsere Handlungsmöglichkeiten ein.“ Zur Auflösung der Ratsgruppe habe es aber unter den gegebenen Voraussetzungen keine Alternative gegeben.