Bochum. Für immer mehr Arztpraxen werden Nachfolger gesucht. Der Chef der Bochumer Kassenärzte hat genau nachgerechnet. Das Ergebnis überrascht auch ihn.
In Bochum gehen in den nächsten fünf Jahren 400 niedergelassene Ärztinnen und Ärzte in Rente. „Zugleich soll die ambulante Versorgung im Zuge der Krankenhausreform ausgebaut werden. Das wird schwerlich möglich sein“, zweifelt der Bezirksleiter der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), Dr. Eckhard Kampe.
1005 Ärztinnen und Ärzte praktizieren in Bochumer Praxen, davon 223 Hausärzte. Laut KVWL steht ein bislang einzigartiger Aderlass bevor. Für die politischen Gremien habe er in diesen Tagen exakt nachgerechnet, wie sich die Ruhestandswelle bei den Kassenärzten auswirken wird, so Kampe. „Das Ergebnis hat mich selbst überrascht.“ 40 Prozent seiner Kolleginnen und Kollegen werden bis 2028 „aus Altersgründen aus dem System ausscheiden“.
Arztpraxen in Bochum: Bei der Nachbesetzung gibt es schon jetzt Probleme
Eine Nachfolge zu organisieren, sei schon jetzt oft schwierig. „Nachbesetzungsprobleme zeigen sich vor allem in den Fachbereichen Allgemeinmedizin, Kinderheilkunde, Gynäkologie und HNO“, beobachtet der KV-Chef. Wattenscheid sei ein warnendes Beispiel: „Im vergangenen Jahr wurden hier zwei Hausarztpraxen geschlossen. Nachfolger wurden bis heute nicht gefunden. Jeweils 2000 Patientinnen und Patienten mussten sich einen neuen Hausarzt suchen.“
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Niedrige Hausarzt-Quoten verzeichnet die Kassenärztliche Vereinigung in Bochum auch in Hamme und im Gleisdreieck. Topwerte gibt es hingegen in den wohlhabenderen Stadtteilen, etwa in Stiepel und Linden/Dahlhausen.
Aktuell stehen in Bochum fünf Hausarztpraxen leer
Aktuell stehen stadtweit fünf Hausarztpraxen leer. Die Zahl könnte auch bei den Fachärzten wegen der vielen Renteneintritte deutlich zunehmen, befürchtet Kampe. Zugleich stünden die niedergelassenen Mediziner vor großen Herausforderungen. Als Folge der 2024 geplanten Krankenhausreform sollen möglichst viele stationäre Aufenthalte verhindert werden.
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Deutschland sei „derzeit Weltmeister darin, Patienten für Behandlungen ins Krankenhaus aufzunehmen, die im Ausland schon lange ambulant erbracht werden“, sagt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Mehr ambulante Versorgung sei auch im Sinne der Patienten. Bei älteren Menschen zum Beispiel steige das Demenz-Risiko mit jedem Tag in der Klinik.
Mehr ambulante Versorgungen: Rechnung könnte nicht aufgehen
„Die Ärztekammer Westfalen-Lippe wie auch die Kassenärztliche Vereinigung unterstützen die Krankenhausreform“, betont Eckhard Kampe. „Aber Vorsicht“, ergänzt der KV-Bezirksleiter. „Die Reform trifft auf ein ambulantes Versorgungssystem, das einem grundlegenden strukturellen Wandel unterworfen ist.“ Zusätzliche Behandlungen bei womöglich weniger Haus- und Fachärzten, deren Praxen vielfach schon jetzt überlastet sind: Diese Rechnung könne kaum aufgehen.
Kliniken sichern Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten zu
Der Ruf von Eckhard Kampe nach einer Zusammenarbeit aller Akteure im Gesundheitswesen stößt in den Bochumer Krankenhäusern auf Zustimmung. Das wurde bei einem WAZ-Gespräch mit Vertretern des Katholischen Klinikums, der Augusta-Klinik, des Bergmannsheil und des Knappschaftskrankenhauses deutlich.
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Die übergreifende Versorgung der Patienten werde künftig eine noch größere Rolle spielen, sagt Mario Kleist, Mitglied der Augusta-Geschäftsführung: „Die Sorgen des Ärztemangels in den Niederlassungen sind daher absolut nachzuvollziehen. Hier sind auf regionaler Ebene Modelle der verzahnteren Zusammenarbeit denkbar, sofern sie politisch legitimiert werden.“ Alle Klinik-Vertreter bekräftigen in der WAZ-Runde: „Wir stehen zum Wohl der Patienten als Partner zur Verfügung.“