Bochum. Ein Sturz: und nichts ist mehr wie es war. Das WAZ-Nachtforum in Bochum informierte über den Oberschenkelhalsbruch. Ein simpler Test kann helfen.

Wie es passiert ist? „Ich weiß es bis heute nicht“, rätselt Astrid Nilsson-Büßing. Sie ging mit ihrem Hund spazieren, als sie plötzlich stürzte. „Ich war hilflos, konnte mich nicht mehr bewegen. Es tat fürchterlich weh“, schildert die Rentnerin. Diagnose: Oberschenkelhalsbruch. Beim WAZ-Nachtforum berichtete die 72-Jährige von ihrem Schicksal – und ihrem Weg zurück ins Leben.

Seit 2007 veranstaltet die WAZ das Medizinforum im Knappschaftskrankenhaus Langendreer. Zweieinhalb Jahre musste das Erfolgsformat wegen Corona pausieren, ehe im Sommer 2022 eine Rückkehr möglich wurde: zum Neustart noch mit Test- und Impfnachweis und beschränkt auf 70 Besucher.

WAZ-Nachtforum Medizin: Mehr als 100 Leser in der Klinik-Cafeteria

Das 62. Nachtforum war ein besonderes. Es galten keinerlei Pandemie-Auflagen. Mehr als 100 Leserinnen und Leser konnten am Donnerstagabend wieder in der Klinik-Cafeteria Platz nehmen. „Ein bewegender Moment für uns alle“, sagte Prof. Rüdiger Smektala, Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie.

Auch interessant

Knapp zwei Stunden später waren die Leserinnen und Leser überzeugt: Die WAZ löst ihr Versprechen „Mehr erfragen, mehr erfahren – Medizin zum Anfassen“ beim Nachtforum auch weiterhin ein.

Im Gespräch mit Klinikdirektor Prof. Rüdiger Smektala berichtete Astrid Nilsson-Büßing über ihren Oberschenkelhalsbruch. Bald will die 72-Jährige wieder mitten im Leben stehen.
Im Gespräch mit Klinikdirektor Prof. Rüdiger Smektala berichtete Astrid Nilsson-Büßing über ihren Oberschenkelhalsbruch. Bald will die 72-Jährige wieder mitten im Leben stehen. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Hüftprothese wurde 24 Stunden nach dem Sturz eingesetzt

„Der Unfall im Alter – verändert er mein Leben?“, lautete das Thema. Es ist hochrelevant. 130.000 Menschen in Deutschland erleiden jährlich einen Oberschenkelhalsbruch. Die „hüftgelenksnahe Fraktur“ (so der Fachbegriff) ist bei über 65-Jährigen inzwischen die häufigste Diagnose bei Einweisungen ins Krankenhaus, schildert Rüdiger Smektala. Durchschnittsalter: 82 Jahre. Steigerungsquoten von 125 Prozent werden bis 2050 in unserer immer älter werdenden Gesellschaft erwartet.

Ursache ist fast immer ein Sturz. So wie bei Astrid Nilsson-Büßing, die in einem Patientinnengespräch von jenem verhängnisvollen Dienstagnachmittag erzählte. Glück im Unglück: Ein Orthopäde war zufällig in der Nähe. „Der hat schon auf der Straße gewusst, was los ist.“ Notarzt. Krankenhaus. Bereits am Mittwochnachmittag wurde ihr in Langendreer ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt.

Facharzt: Knochenschwund wird immer mehr Senioren treffen

Schnelligkeit ist wichtig, betont Klinikchef Smektala. Lebenswichtig. „Jede Minute zählt“: Das gilt nicht nur bei einem Infarkt oder Schlaganfall, sondern auch beim Oberschenkelhalsbruch. Die OP sollte innerhalb von 24 Stunden erfolgen. Dann heißt es: Raus aus dem Bett, schleunigst wieder mobil werden. Sonst drohen schwerwiegende Komplikationen wie Lungenentzündung, Thrombosen und Druckgeschwüre. Je nach Vorerkrankungen kann es dramatisch werden: Die Sterblichkeit nach Oberschenkelhalsbrücken ist hoch. Jeder fünfte Patient überlebt das erste Jahr nicht.

Warum enden Stürze im Alter so verhängnisvoll? Weil die Knochen zunehmend an Festigkeit und Substanz verlieren. Stichwort: Osteoporose. Eine Volkskrankheit, von der 20 Prozent der Bevölkerung betroffen sind, aber nur jeder Vierte weiß, sagt der Bochumer Orthopäde Dr. Jozef Colemont. Seine düstere Prognose: Jede dritte Frau und jeder fünfte Mann wird im Alter eine Fraktur erleiden, die durch Knochenschwund bedingt ist.

Viel Bewegung und gesunde Ernährung können vorbeugen

Fassungslos zeigt sich der Facharzt angesichts dieser Entwicklung über die dünne Datenlage und den geringen Stellenwert der Osteoporose in der medizinischen Ausbildung. Und das, obwohl jede Hüftgelenks-OP 20.000 Euro koste.

Auch interessant

Was tun? Bei Colemonts Vorbeugetipps kommen die Klassiker zur Geltung: viel Bewegung (gut: Laufen, Kraftsport und Vibrationsplatten, weniger hilfreich: Schwimmen) sowie gesunde Ernährung mit viel Vitamin D. 1000 Milligramm Kalzium täglich sollten dem Körper zugeführt werden, etwa über Milchprodukte oder Mineralwasser. Im Internet gibt es dafür spezielle Kalziumrechner (www.gesundheitsinformation.de/kalziumrechner). Gepaart mit Medikamenten und Gymnastik, können brüchige Knochen so sukzessive wieder gestärkt werden.

Mehr als 100 Leserinnen und Leser füllten beim WAZ-Nachtforum Medizin die Cafeteria des Knappschaftskrankenhaus Langendreer.
Mehr als 100 Leserinnen und Leser füllten beim WAZ-Nachtforum Medizin die Cafeteria des Knappschaftskrankenhaus Langendreer. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Klinikdirektor: „Der Mensch ist ursprünglich nur für 40 Jahre gebaut“

Empfehlenswert seien zudem Knochendichtemessungen: bei Frauen ab 70, bei Männern ab 80 Jahren. Der erste Check beim Facharzt sei kostenlos, so Colemont. Ohne Indikation kann der nächste Gratis-Test allerdings erst nach fünf Jahren erfolgen. Sonst werden rund 60 Euro fällig.

Auch interessant

Dr. Martin Haas, Klinikdirektor am Knappschaftskrankenhaus Dortmund, lässt keinen Zweifel: Der Mensch als einstiger Affe sei ursprünglich nur „für 40 Jahre gebaut. Der Rest ist zivilisatorischer Zugewinn“. Gleichwohl könne Mobilität bis ins hohe Alter gewahrt bleiben. In welchem Umfang die Abbauprozesse eingesetzt haben, könnten Angehörige älterer Menschen durch einen einfachen Test ermitteln. „Fragen Sie beim Spazierengehen, wie viel 100 minus 7 ist.“ Wer für die Antwort und das Nachdenken stehenbleibt, trage ein erhöhtes Sturzrisiko.

WAZ-Leser hat seinen eigenen Schutzmechanismus entwickelt

Astrid Nilsson-Büßing will alsbald wieder auf die Beine kommen. An Gehstützen funktioniert das Laufen schon wieder ordentlich; die ersten Treppen sind bewältigt. Ein WAZ-Leser verriet beim Nachtforum seinen ureigenen Schutzmechanismus. Nach einem Oberschenkelhalsbruch „unternehme ich nichts mehr, bei dem ich auf die Schnauze fliegen kann. Ich lebe gut damit!“

Alle Vorträge gibt es zum Nachlesen auf kk-bochum.de.