Bochum. „Happy“ aus Bochum hat nie aufgegeben. Die Ruhr hatte ihm beim Hochwasser 2021 das Haus genommen. Doch der Senior (83) schuftete und kam zurück.

Es ist knapp ein Jahr her, da stapfte Herbert Friedrich Lappe, den in Dahlhausen alle nur „Happy“ rufen, in seinen grünen kniehohen Gummistiefeln durch sein verschlammtes Wohnzimmer.

Er war die ganze Nacht wach gewesen. Hatte hilflos zusehen müssen, wie die Ruhr erst über die hüfthohe Mauer in den Vorgarten seines kleinen Häuschens an der Ruhrmühle schwappte, dann das Wasser im Keller aus den Abflüssen sprudelte. „Abgesoffen“, sagte er damals schulterzuckend und blickte auf das Ausmaß des Schadens. „Das wird eine ganz schöne Maloche.“

Herbert Friedrich Lappe nach einer durchwachten Nacht vor seinem verschlammten Haus, in dem die Ruhr noch steht.
Herbert Friedrich Lappe nach einer durchwachten Nacht vor seinem verschlammten Haus, in dem die Ruhr noch steht. © FUNKE Foto Services | MATTHIAS GRABEN

Hochwasser an der Ruhr nimmt dem Bochumer das Zuhause

Fast genau ein Jahr später sitzt der 83-Jährige im Garten seiner „Villa“, streckt das Gesicht der strahlenden Sonne entgegen und lauscht den tratschenden Gänsen und dem sanften Plätschern der Ruhr. Es ist wieder zurück – das Dahlhauser Urgestein. Doch er hat Recht behalten: Es war eine Maloche – mehr als „Happy“ im Nachhinein vielleicht zugeben möchte.

„Den Schrank, vielleicht können wir den noch behalten“, hatte er damals beim Blick ins verschlammte Wohnzimmer gedacht, als sich das Wasser – „erstaunlich schnell“ – zurückgezogen hatte. Am Ende sollte auch dieser, wie alle Möbelstücke im Erdgeschoss, auf dem Sperrmüll landen – Totalschaden.

Hochwasser kennen sie an der Ruhrmühle in Bochum-Dahlhausen

Dabei war er vorbereitet. Hochwasser kennen sie hier an der Ruhrmühle in Dahlhausen. Den Opel hatte er auf dem Hügel geparkt, die Pumpen fürs Haus waren angeschlossen, im Garten „die Schotten dicht“ gemacht. Doch das sollte dieses Mal – beim „Jahrhunderthochwasser“, wie die Feuerwehr es nannte – nicht reichen.

Mitten in dieser Flut-Nacht muss Herbert Lappe auf die Toilette. „Was rauscht da so?“ Es ist die Ruhr, die sich von unten den Weg in den Keller gesucht hat. Gemeinsam mit Frau Ursula schafft er über die schmale Treppe die wichtigsten Unterlagen ins Obergeschoss. Dann fällt der Strom aus. „Da wusste ich, das war’s jetzt.“ Die Pumpen fallen aus. Ursula und Herbert verlassen ihr Zuhause.

Schaulustige begaffen, wie Familien ihr Zuhause verloren haben, das Restaurant Bodega seine Existenz.
Schaulustige begaffen, wie Familien ihr Zuhause verloren haben, das Restaurant Bodega seine Existenz. © FUNKE Foto Services | MATTHIAS GRABEN

Die nächsten Tage, die nächsten Monate werden kräftezehrend. Das komplette Erdgeschoss ist voller Matsch – da ist nichts zu retten. Und am Morgen nach der Flut begaffen Schaulustige, wie Familien ihr Zuhause verloren haben, das Restaurant Bodega seine Existenz, manch Camper seinen Wohnwagen in den Fluten. „Da konnte ich auch irgendwann nicht mehr“, sagt Herbert Lappe. Zwar gibt er sich zuversichtlich, anpackend. „Aber du bist halt keine 20 Jahre mehr“, sagt seine Frau Ursula liebevoll.

Versicherung zahlt die Sanierung – Spenden nimmt „Happy“ nicht

Dabei hatte „Happy“ riesiges Glück. Im Gegensatz zu seinen Nachbarn ist das Haus versichert. „Wir haben keine finanziellen Sorgen, dafür bin ich sehr dankbar.“ Seit 1967 hat der heute 83-Jährige die 310 Quadratmeter Grundstück gepachtet, damals war es noch kein Problem, eine Versicherung zu finden, die das Grundstück in direkter Ruhrnähe aufnimmt. „Heute wäre ein Versuch chancenlos.“

Das Gebäude der DLRG an der Ruhr in Dahlhausen ist 2021 umgeben von Wassermassen. 
Das Gebäude der DLRG an der Ruhr in Dahlhausen ist 2021 umgeben von Wassermassen.  © WAZ | Karoline Poll

Sie haben gesammelt in Dahlhausen für die Nachbarn, die von der Flut betroffen waren. Herbert Lappe will kein Geld angenommen haben: „Das brauchten andere dringender.“ Eine Ausnahme hat er gemacht: An einem Morgen findet er einen Brief von Bekannten im Briefkasten: 100 Euro schickten sie ihm.

Nach dem Hochwasser kommen Herbert und seine Frau Ursula bei der Familie in Wattenscheid unter. Vier Monate lang schlafen die beiden im Teenie-Zimmer der 14-jährigen Enkelin. „Familie ist das Wichtigste. Wir halten zusammen.“ Jeden Tag fährt Happy von dort nach Dahlhausen, anfangs schippt der Schlamm, dann müssen Wände rausgerissen werden. Und die ganzen Möbel, die Heizung…

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Nicht alles gut – Nervenzusammenbruch und Klinik

Der 83-Jährige schuftet, um sein Zuhause wieder auf Vordermann zu bringen. Mittagessen kochen sie auf einem kleinen Gaskocher im Pavillon. Jägerschnitzel, Erbsensuppe – alles, was das Herz begehrt. Improvisieren können sie, die Lappes. Immer ein Lächeln und einen kecken Spruch auf den Lippen. „Wozu soll ich mir Sorgen um Dinge machen, die ich ohnehin nicht ändern kann?“, sagt Herbert Lappe.

Die Schienen in der Nähe des Bahnhofes Dahlhausen – der Zugverkehr fiel nach dem Hochwasser lange aus.
Die Schienen in der Nähe des Bahnhofes Dahlhausen – der Zugverkehr fiel nach dem Hochwasser lange aus. © FUNKE Foto Services | MATTHIAS GRABEN

Erst Ehefrau Ursula erzählt davon, wie sie ihren Mann nach dem Hochwasser einmal ins Krankenhaus bringen musste. „Bleich war er und nass geschwitzt. Nervenzusammenbruch haben die Ärzte gesagt.“ Ihr Mann wischt die Erinnerung mit einer schnellen Handbewegung vom Gartentisch. „War halt viel zu tun, aber jetzt geht’s ja wieder.“

Viel Glück: Die Versicherung bezahlt alle Schäden

Es geht wieder. Die Versicherung hat anstandslos das neue Wohnzimmer, die neue Küche mit allen Möbeln und Geräten bezahlt. Herbert Lappe hat sich Stromgeneratoren besorgt, die im Notfall die Pumpen betreiben könnten. Aber wegziehen? Dieses Kleinod an der Ruhr verlassen? Das kommt für den 83-Jährigen nicht infrage. Viele Kauf-Interessenten habe es in letzter Zeit gegeben. „Aber dieses Haus gebe ich nicht weg. Hier soll unser Sohn mal leben, das ist sein Zuhause.“

Sorge vor einer neuen Flut hat „Happy“ nicht. Mit „normalem“ Hochwasser können sie umgehen in Dahlhausen. „Ich hoffe sehr, dass ich so etwas wie im vergangenen Jahr nicht noch einmal erleben muss“, zeigt sich Ehefrau Ursula besorgter. „Happy“ – ganz der Optimist – zieht die braun gebrannte Stirn in Falten und schüttelt unwirsch den Kopf. „Das passiert nicht mehr!“