Innenstadt. In der Ko-Fabrik in Bochum frisiert die „Barber Angels Brotherhood“ kostenlos Bedürftige und Obdachlose. Es ist eine Aktion für mehr Selbstwert.
Diese „Engel“ tragen Schwarz und dazu in der Gürteltasche Schere, Rasiermesser und Kamm. Die „Barber Angels Brotherhood“ klingt martialischer, als die Aktion in der Ko-Fabrik an der Stühmeyerstraße sich darstellt. Um den großen Tisch herum sind sieben aus dem „Chapter“, der NRW-Abteilung West, mit Haareschneiden beschäftigt. 50 Gäste erwartet die Mannschaft heute, sämtlich Bedürftige, Obdachlose, „aber alle mit so einem großen Herz“, sagt die Abteilungs-Chefin. „Centurio“ ist der Titel, den Petra Geldermann in der „Bruderschaft der Barbier-Engel“ führt.
50 Gäste haben die sieben „Engel“ in Bochum heute
Die „Engel“ gehen offensiv mit dem Thema um, die Gäste ziehen sich etwas zurück. „Bitte kein Foto von mir“, sagt eine Seniorin, „ich will nicht, dass meine Nachbarn davon was mitbekommen“. Denn sie kann sich den professionellen Haarschnitt nicht leisten, und heute bekommt sie ihn kostenlos. Von einem Friseur aus Düsseldorf, aber damit will sie eben nicht angeben.
Petras Mann Carsten trägt auf der schwarzen Lederkutte neben dem Schild „Apostel“ („das sind wir alle in dem Chapter, ich bin Optio, also Adjutant“) noch die Zusätze „Orga“ und „Oculus“, lateinisch für Augen. Er fotografiert, aber nur intern, und nimmt sofort die Kamera herunter, als ein kleiner Junge sich vor dem Spiegel zurecht setzt. „Kinder niemals, auch nicht, wenn die Eltern zustimmen. Die können doch jetzt noch nicht sagen, ob sie sich irgendwann für diese Szene schämen“, erklärt er bestimmt.
Die Lederkutten nehmen die Schwellenangst
Denn Scham ist die eine Seite, Stolz und Selbstwert die andere und ebenso wichtige. „Ich hab’s erlebt, dass einer schon mit nassen Haaren hereinkam. Die hatte er sich auf dem Friedhof mit kaltem Wasser gewaschen“, berichtet der „Optio“, „das würde sonst wohl kaum jemand machen, wenn er zum Friseur geht. Das könnte er uns nicht zumuten, hat er gesagt.“
„Schwarz ist die Farbe der Friseure“, erklärt Carsten lächelnd, „und die Kutten tragen wir, um den Gästen bei der Aktion die Schwellenangst zu nehmen. Das ist hier eben nicht wie in einem normalen Salon.“
Die Kontakte schließen die Wohlfahrtsorganisationen vor Ort, über das Obdachlosenmagazin „Bodo“, mit dem Präsidenten der „Bruderschaft“. „Dann sieht sich das jeweilige Chapter den Ort an und macht den Termin für einen ersten Einsatz aus“, schildert Carsten. Hier in der Ko-Fabrik waren sie schon einmal. „In etwa drei Monaten wieder“, antwortet er auf die Frage der Seniorin.
Keine Konkurrenz für die Kollegen vor Ort
Sie wollen auf keinen Fall dem örtlichen Gewerbe Konkurrenz machen, deshalb werden nur Haar oder Bart geschnitten, Strähnchen oder Dauerwelle gibt es nicht. Sie haben gut zu tun, es werden nicht weniger. „Erschreckend, wie jung manche sind“, meint Carsten, aber auch die Altersarmut merken die „Barber Angels“. Die „Bruderschaft“ ist ein eingetragener Verein, als gemeinnützig anerkannt.
25 sind es in NRW-West, 520 Einzelmitglieder haben sie in Europa, schneiden Haare bei Bedürftigen inzwischen in Norwegen, Spanien, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und eben in Deutschland. „Bis zu den Corona-Beschränkungen gut 45.000 Gäste, jetzt bestimmt 50.000“, überschlägt Carsten. Da ist auch klar: „Mitstreiter suchen wir ständig.“ www.b-a-b.club.