Bochum. Ihr Vater vergleicht Corona-Maßnahmen mit dem Holocaust, leugnete die Existenz des Virus. Eine Studentin sucht Austausch mit anderen Betroffenen.

„Mein Papa ist Verschwörungstheoretiker“, diese Worte kommen der Studentin (30) aus Bochum mittlerweile leichter über die Lippen. Dass ihr Vater der Corona-Pandemie und den Maßnahmen zur Eindämmung sehr kritisch gegenübersteht, das wusste sie seit langem. Doch wie sehr er sich in den Wirren der Verschwörungstheorien verfangen hatte, das hinterließ die junge Frau, die aus Sorge vor Anfeindungen anonym bleiben möchte, fassungslos.

Es sei dieses eine Telefonat gewesen: Das Gespräch habe an diesem Nachmittag schon wieder viel länger gedauert als geplant. Der Vater habe sich in Rage geredet, schwadronierte von der großen Corona-Verschwörung – und verglich schließlich seine Situation als Ungeimpfter mit der der Juden im Holocaust. „Das konnte ich mir nicht mehr anhören. Das waren gar nicht seine Worte, ich hatte das Gefühl, nicht mit meinem Vater zu sprechen“, sagt die 30-Jährige. Sie brach das Gespräch ab – und danach weinend zusammen.

Corona-Leugner in der Familie – wie sollen Angehörige damit umgehen?

Doch wie sollte es weitergehen? Wie können Angehörige mit Corona-Leugnern und Verschwörungstheoretikern umgehen? Woher kommen diese Verschwörungstheorien? Wer ist anfällig dafür? Eines ist für sie klar: Sie liebt ihren Vater. Die Mutter ist vor längerer Zeit verstorben. Das Verhältnis zum Vater, der in einer Großstadt im Norden Deutschlands lebt, ist immer gut gewesen.

Für Angehörige von Verschwörungstheoretikern und Corona-Leugnern gibt es in Bochum bald eine Selbsthilfegruppe.
Für Angehörige von Verschwörungstheoretikern und Corona-Leugnern gibt es in Bochum bald eine Selbsthilfegruppe. © FUNKE Foto Services | Kim Kanert

Doch mit dem Beginn der Pandemie sei es schwieriger geworden, mit ihm zu reden. Der Vater wittert in der Corona-Pandemie eine Verschwörung der Pharma-Industrie. „Es war ein schleichender Prozess“, sagt die 30-Jährige. Zunächst zweifelte er an der Existenz des Virus. Dann erkrankt eine Bekannte an Corona. „Er hat schließlich akzeptiert, dass es das Virus gibt.“ Nun aber leugnet der Vater nicht mehr das Virus, sondern die Pandemie. Und die Wortwahl spitzt sich zu.

Vater eigentlich nicht anfällig für Verschwörungstheorien

Dabei sei ihr Vater für Verschwörungstheorien eigentlich nie empfänglich gewesen. „Er ist Ingenieur. Sein Leben basiert eigentlich auf Fakten. Aber zu Corona möchte er die Fakten nicht erkennen.“ Der Vater, ein ruhiger Typ, humorvoll mit einem sehr kleinen Freundeskreis – der nun noch ein wenig kleiner geworden sei. Einige Bekannte hätten sich abgewandt. Auch für die Tochter wäre es am einfachsten, den Kontakt einfach abzubrechen. Nicht andauernd die immergleichen Verschwörungsmythen zu hören, wenn sie doch nur von einem Alltagserlebnis am Telefon berichten möchte.

Die 30-jährige Studentin und ihr Freund recherchieren. Wie geht man mit dem (Schwieger-)Vater um, ohne den Kontakt abzubrechen? Bei der Sekteninfo NRW bekommen sie Tipps: Wenn es gar nicht mehr geht, dann sollten Betroffene versuchen, sich abzugrenzen. Aber: Es sollte auch weiter nach Gemeinsamkeiten gesucht werden. In der Suche nach Gleichgesinnten recherchiert das Paar nach Selbsthilfegruppen – beinahe vergeblich. Allein in Berlin hätten sie eine Gruppe für Angehörige von Corona-Leugnern gefunden. Und die sei komplett überlaufen gewesen.

Selbsthilfegruppe soll einen Austausch ermöglichen

Bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle an der Alsenstraße in Bochum seien sie mit ihrem Anliegen auf offene Ohren gestoßen und gründen nun kurzerhand ihre eigene Selbsthilfe-Gruppe. Das Ziel: Austausch. „Wir möchten darüber sprechen, was vielleicht bei anderen geholfen hat und was nicht. Wir denken, dass der Austausch über Erlebnisse, Gemeinsamkeiten, Gedanken dazu nur allen Beteiligten helfen kann, zum Beispiel Umgangsstrategien oder Hilfsangebote zu entdecken.“

Erstes Treffen digital

Die Selbsthilfegruppe wird zunächst online im virtuellen Haus der Selbsthilfe des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes starten. Zu einem späteren Zeitpunkt wird die Gruppe dann ins Haus der Begegnung, Alsenstraße 19a, in Bochum umziehen. Interessierte Menschen können sich für ein Erstgespräch an die Selbsthilfe-Kontaktstelle Bochum wenden: Selbsthilfe-Kontaktstelle Bochum, Alsenstraße 19a, 44789 Bochum. Telefon: 0234/23 99 11 11, E-Mail: selbsthilfe-bochum@paritaet-nrw.org, www.selbsthilfe-bochum.de oder über www.facebook.com/selbsthilfe.bochum .

„Ich sehe kleine Erfolge bei meinem Vater, das macht mich sehr glücklich.“ Trotzdem sei es noch ein langer Weg. Immerhin: Der Kontakt zwischen beiden sei weiter eng. Die 30-Jährige hält das für wichtig: „Was machen wir, wenn die Corona-Pandemie vorbei ist? Wie gespalten ist unsere Gesellschaft dann? Wir müssen jetzt schon versuchen, in Kontakt zu bleiben.“