Bochum-Ehrenfeld. „Zum Philosophen“ heißt der Kiosk in Bochum-Ehrenfeld. Der Name ist kein Zufall: Betreiber Hayri Nargili hat Philosophie studiert - und viel vor.
Vor einem Jahr hat er den Kiosk in Bochum übernommen. Doch eigentlich war alles ganz anders geplant. Nach seinem Studium an der Ruhr-Universität Bochum startete Hayri Nargili im Jahr 2019 ins Referendariat an einem Essener Gymnasium. Er wollte Lehrer werden. Dass er irgendwann einmal Kindern Süßigkeiten verkaufen würde, anstatt sie zu unterrichten, damit hatte der gebürtige Bochumer nicht gerechnet.
Studium an der Ruhruni Bochum
„Ich hatte natürlich schon vorher immer mal wieder die vage Vorstellung, dass es eigentlich ganz schön wäre, sich irgendwann selbstständig zu machen, aber die Idee einen Kiosk aufzumachen, gab es nie“, erzählt der zweifache Familienvater. Die Zeit in Essen verlief für Nargili allerdings nicht wie erhofft. An der Schule gab es Probleme. Ein Wechsel war wegen Corona nicht möglich. Nach einem Jahr als Referendar gab er den Traum vom Lehrerberuf auf. „Die Situation war sehr belastend, ich brauchte einen Neuanfang. Als ich dann hörte, dass ein Bekannter seinen Kiosk abgeben will, habe ich zu mir gesagt: Das versuche ich jetzt“, berichtet der 32-Jährige.
Gespräche mit Stadt Bochum
Momentan führt Nargili Gespräche mit der Stadt Bochum, um auch die Grünfläche vor dem Kiosk für seine ambitionierten Pläne nutzbar zu machen.
Sein Ziel ist es, in Zukunft philosophische Abende vor dem Kiosk zu veranstalten und begleitet von einem Moderator mit den Menschen aus dem Viertel philosophische Themen zu diskutieren.
Bereicherung für Bochum-Ehrenfeld
Von Anfang an war klar, dass er aus dem unscheinbaren Büdchen in Ehrenfeld mehr machen wollte. Die tägliche Kioskroutine zwischen Zigaretten und Zeitungen reichte ihm nicht. „Meine Vision war es, durch den Kiosk die Philosophie auf die Straße und die Menschen zum Nachdenken und Reden zu bringen“, sagt er. Seit seiner Übernahme im vergangenen Jahr arbeitet Nargili daran, das kleine Geschäft Schritt für Schritt in einen Begegnungsort für die Leute im Stadtteil zu verwandeln. Dabei helfen ihm ein Freund aus Studienzeiten und seine Familie.
Offenes Ohr für Bochumer
Schon früh erweiterte er sein Sortiment auf der Verkaufstafel offiziell um ein offenes Ohr für die Belange der Nachbarschaft. Natürlich kostenlos. An dem Baum vor dem Laden lädt auf einem großen Schild die Weisheit der Woche regelmäßig zum Innehalten ein, meist passend zu aktuellen Ereignissen. „Die Menschen diskutieren, die Natur handelt“, stand dort etwa zu lesen, als im Juli die Flutkatastrophe viele Landstriche in Deutschland verwüstete. Das kommt gut an. „Manchmal bleiben die Leute stehen und machen ein Foto“, sagt Nargili.
Historische Fotos in Bochum-Ehrenfeld
Sein mit historischen Stadtteilfotos geschmückter Kiosk hat sich mittlerweile perfekt ins Ehrenfelder Miteinander eingefügt. So bietet Nargili nicht nur Produkte von anderen Selbstständigen aus dem Viertel an, sondern nimmt mit seinem Laden auch am Bochumer Nachbarschaftsprojekt „Bank:Verbindung“ teil. Wem es in Corona-Zeiten an Austausch mangelt, kann sich noch bis Mitte Oktober jeden Freitagnachmittag in der Sitzecke vor dem Kiosk bei ehrenamtlichen Zuhörern die Sorgen von der Seele reden.
Trinkhalle im Ehrenfeld als kultureller Treffpunkt
Dabei soll es nicht bleiben. Ab Oktober startet Nargili mit seinem Team das Projekt „Kunst am Kiosk“. Dann soll jede Woche das Werk eines Bochumer Künstlers im Schaukasten vor dem Laden ausgestellt werden und alle Interessierten zum Diskutieren einladen. Den Auftakt macht die in Bochum geborene Malerin Annika Döring, deren Arbeit bereits mit einem Stipendium vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Kultur und Wissenschaft gefördert wurde. Auch die Gründerin der Ehrenfelder „Kunstkabine“ Judith Freise-de Matteis, die auf über 80 europaweite Ausstellungen zurückblicken kann, steht für das Projekt in den Startlöchern.
Dass es mit dem Referendariat vorerst nicht geklappt hat, stört Nargili heute nicht mehr. „Manchmal kommt der Lehrer aber schon noch durch bei mir. Dann lasse ich die Kinder selbst ausrechnen, was sie für die gemischte Tüte bezahlen müssen“, sagt er und lacht.