Bochum. Klima und Pflege sind die großen Herausforderungen der Zukunft. Das war der Tenor bei der zweiten WAZ-Wahl-Arena in Bochum.
Mehr Tacheles reden. Das haben sich Gäste, Zuhörer und User bei der zweiten WAZ-Wahl-Arena im Forum der Stadtwerke Bochum von den Bundestagswahlkandidaten gewünscht. „Manchmal ist es zu viel Blabla“, sagt der Bochumer Christoph Kunzmann (40), einer der Besucher der Veranstaltung.
Fünf von sechs Kandidaten stellen sich
Am 26. September wird Wahl zum 20. Bundestag ausgetragen. Allein in Bochum dürfen mehr als 267.000 Wählerinnen und Wähler ihre Stimme abgeben. In der WAZ-Wahl-Arena haben fünf Kandidatinnen und Kandidaten des Wahlkreises 141 Herne/Bochum II die Chance bekommen, ihre Positionen zu vertreten: Christoph Bußmann (CDU, 33 Jahre), Jacob Liedtke (Die Grünen, 33), Michelle Müntefering (SPD, 41, seit 2013 im Bundestag), Klaus Füßmann (63) und Felix Oekentorp (Die Linke, 58). Eingeladen war auch Markus Dossenbach (AfD). Per SMS informierte er Moderator Michael Weeke während der Veranstaltung darüber, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen könne.
Wie schon bei der ersten Arena zwei Tage zuvor, als fünf Kandidatinnen und Kandidaten des Wahlkreises 140 sich den Fragen des stellvertretenden Redaktionsleiters stellen, durften auch diesmal coronabedingt live nur wenig Gäste teilnehmen. Per Videostream gab es aber erneut die Möglichkeit, zuzuhören und auch Fragen an die Anwärter auf einen Sitz in Berlin zu stellen.
Zum Beispiel diese: Woher soll all das Personal kommen, das dringend in Kitas und im offenen Ganztag benötigt wird? Die wichtigste Voraussetzung dafür ist aus Sicht von Felix Oekentrop, „dass Erzieherinnen und Erzieher ein Gehalt bekommen, von dem sie leben können“.
Hilfe für pflegende Angehörige
Oder: Warum haben pflegende Angehörige keinen Zugang zur gesetzlichen Versicherung? Michelle Müntefering sieht zwei Defizite: Aus ihrer Sicht müsse die Pflege von Angehörigen mit Rentenpunkten honoriert. Und: „Pflegende Angehörige müssen auch aus- und weitergebildet werden.“
Kritik aus dem Publikum erntete Landesschulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Sie habe Schulen, Kinder und Eltern in der Pandemiezeit im Stich gelassen. Klaus Füßmann sieht das anders: „Wir haben nach dem krachenden Scheitern der Vorgängerregierung die Dinge erst wieder auf die Schiene gebracht.“ Als konkretes Beispiel für Bochum nennt er die Einführung von Talentschulen.
Besucher ziehen positives Fazit
Ein Besucher nimmt immer mehr Steingärten in Bochum wahr. Was lässt sich dagegen tun? „Wir müssen aufklären und auf allen politischen Ebenen klarmachen, dass dass das nicht der richtig Weg ist“, so Jacob Liedtke
Bringt es auf den Punkt“, hat Christoph Kunzmann die Politiker gebeten. Vor allem will er wissen, was sie konkret für Bochum in Berlin tun wollen. Aus Sicht von Christoph Bußmann ist vor allem eines wichtig: „Weniger Bürokratie.“
Das Fazit vieler Besucher war positiv. So auch von Anke Chnielewski aus Bochum-Hiltrop: „Ich fand die Veranstaltung sehr interessant, allerdings ist mir das Thema Wirtschaft zu kurz gekommen.“ Sie hofft, dass sich die Kandidatinnen und Kandidaten ihres Wahlkreises diesem Thema künftig mehr annehmen.
Vier Themenbereiche wurden erneut diskutiert: Klimawandel (Ist die Erklärung Bochums zum Klimanotstand nur ein Feigenblatt?) – Soziale Gerechtigkeit – Afghanistan – Corona und seine Folgen
Auszüge aus den Positionen der Kandidaten
Christoph Bußmann (CDU): „Ich halte relativ wenig von Resolutionen, weil sie meistens keine zählbare Erfolge bringen. Wir müssen Angebote für die Menschen schaffen. Wenn sie das Auto stehen lassen sollen, dann muss ich ein Angebot dafür schaffen. Ich muss Klimaschutz aber auch sozial gestalten. D.h. jeder muss seinen Teil leisten können.
Armut verhindere ich, indem ich dafür sorge, dass Kinder die bestmögliche Bildung bekommen. Wir müssen im Bund dafür sorgen, dass wir mehr Geld an die Länder geben können, um die Schulen besser auszustatten. Jedes Kind muss die Chance bekommen, sich selbst herauszuarbeiten. Und ich muss den Leuten Arbeit geben, dann verhindere ich Armut.
Es gibt keine Diskussion, dass wir den Ortskräften und deren Angehörigen helfen, die uns und unserer Bundeswehr in Afghanistan geholfen haben. Wenn jemand flieht, der um sein Leben fürchtet, dann müssen wir das anerkennen und helfen. Aber: Jeder, der zu uns kommt, muss sich auch an die Spielregeln unserer demokratischen Gesellschaft halten, sonst muss er zurückgehen.
Ich habe gemerkt, die Menschen haben zusammengehalten in der Krise. Aber wir haben auch Fehler gesehen: bei der Digitalisierung, bei der Schule, bei der Pflege. Auf diesen Feldern müssen wir weiter arbeiten.
Jacob Liedtke (Die Grünen): „Die Klimafrage ist die zentrale Herausforderung; eine Schicksalsfrage, der wir uns alle stellen müssen. Ich finde es gut, dass wir auf kommunaler Ebene vorangegangen wird. Aber der Bund muss verbindliche Leitlinien festsetzen. Klimaschutz hat für uns Top-1-Priorität. Deshalb wollen wir etwa ein Ministerium, das einen Überblick darüber behält, ob Maßnahmen den Klimaschutzzielen genügen.
Wir müssen uns von Hartz IV abkehren und brauchen eine armutsfeste Grundsicherung. Zur Entlastung von Familien schlagen wir eine Kindergrundsicherung vor. Um das zu finanzieren, möchten wir den Spitzensteuersatz für sehr hohe Einkommen anheben und bei einem Privatvermögen von zwei Millionen Euro eine Vermögenssteuer erheben.
Schon jetzt über Verhaltensregeln von Migranten zu reden, finde ich zynisch. Wir reden von einer humanitären Katastrophe. Wenn Leute in physische Sicherheit sind, dann können wir über Integration sprechen.
Ja, es ist viel schief gelaufen. Trotzdem sollten wir ein Stück zurücktreten und nicht gleich in Schuldzuweisungen verfallen. Viele Menschen haben sich solidarisch verhalten, wir haben Impfstoffe entwickelt. Corona hat die Fehler an vielen Stellen gezeigt. Vor allem ist es deutlich geworden, dass wir die Pflege grundlegend neu auf die Füße stellen müssen.“
Felix Oekentorp (Die Linke): „Bei der Klimafrage gibt es auf allen Ebenen Handlungsbedarf: Kommunal zum Beispiel, ein wirklich funktionierender Öffentlicher Personennahverkehr und eine wirklich funktionierende Deutsche Bahn wäre hilfreich. Auf weltweiter Eben gehört dazu, dass militärische Emissionen mitgezählt und nicht wie bis jetzt ausgeklammert werden.
Ein höherer Spitzensteuersatz und eine Vermögenssteuer sind bei uns auch im Programm. 1990 lag die Spitzensteuer noch bei 53 Prozent, jetzt bei 40 Prozent. Um es denen zu geben, die es nötig haben, muss man es denen nehmen, die es haben.“
Ich erinnere mal daran, dass die militärischen Kosten für den Afghanistan-Einsatz 12,5 Milliarden Euro betragen. 59 Bundeswehrsoldaten haben dort ihr Leben gelassen. So unsympathisch ich die Taliban finde. Man muss auch mit dem Gegner sprechen und mit ihm vereinbaren, wie humanitäre Möglichkeiten geschaffen werden.
Verschiedene Fehler sind in der Corona-Zeit gemacht worden. Minister Spahn hat Impfstoff versprochen, der noch gar nicht da war. Das war dilettantisch. Andere Kommunen haben sich vorbereitet, hier in Bochum ist die Bundeswehr ins Gesundheitsamt einmarschiert. Dann haben sich Abgeordnete eine goldene Nase an der Vermittlung von Masken verdient. Das sind gravierende Fehler, die sich nicht wiederholen dürfen.“
Michelle Müntefering (SPD): „Es ist kein Feigenblatt, wenn die Städte vorangehen. Viele Entwicklungen beginnen vor Ort. Der Bund muss Projekte fördern. Meine Lieblingsforderung: Wir müssen Solardächer auf allen öffentlichen Gebäuden in Deutschland anbringen.
Wir brauchen gute Bildung. Damit fängt alles an. Wir haben ein Bürgergeld vorgeschlagen und wollen Hartz IV weiter entwickeln. Und da viele Themen wie zum Beispiel Ausbildung und Mobilität zusammenhängen, sagen wir, dass Kinder und Jugendliche kostenlos mit Bus und Bahn fahren sollen.
Als Staatssekretärin im Auswärtigen Amt bin ich intensiv mit dem Thema Afghanistan beschäftigt. Es ist eine Katastrophe, gerade für die, die sich für Frauenrechte und für Demokratie eingesetzt haben. Natürlich müssen wir den Menschen helfen. Aber unsere Verantwortung in Afghanistan ist nicht vorbei, wenn wir dort rausgehen.
Es gab keine Blaupause für die Bewältigung der Corona-Pandemie. Corona hat ein Licht darauf geworfen, was noch nicht gut funktioniert. Die sozialen Unterschiede sind herausgekommen, dass wir bei der Digitalisierung noch nicht weit genug sind. Und wir haben gesehen, bei den ganz jungen und bei den ganz alten Menschen gab es die größten Probleme. Ich hoffe dass wir aus dieser Situation lernen und politische Lehren daraus ziehen.“
Klaus Füßmann (FDP): „Es geht bei der Bewältigung der Klimakrise nicht um Tempolimit, Solardach und Lastenfahrräder. Wir müssen das groß denken und brauchen ein weitreichendes Instrument. Und da haben wir als Liberale den Zertifikatehandel. Wir machen einen Deckel drauf und sagen, so viel CO2 darf ausgestoßen werden und dafür werden Verschmutzungsrechte erworben. Das ist ein nachfrageorientiertes Modell.
Ich kann nur eine Lanze brechen für die Agenda 2010. Das war eine mutige Reform, zu der Frau Merkel in 16 Jahren nicht fähig war. Wir müssen uns um die Menschen kümmern gerade in dieser Region. Und dazu müssen wir an die Familien heran. Dort geschieht die hauptsächliche Weichenstellung für das Schicksal der Kinder. Wir müssen in den Familien ein Bewusstsein für Bildung, für Anstrengung, für Sekundärtugenden schaffen. Man muss deutlich machen, dass Fleiß dazu gehört.
Selbstbehauptung und Selbstbegrenzung muss die Devise für die Zukunft. Die Universalisierung unserer Werte war ein Riesenfehler. Wir müssen sehen, dass wir den 10.000 Ortskräften und ihren Angehörigen helfen. Aber: Die Taliban steuern den Zugang zu den Flughäfen. Bitte nicht wieder die Blauäugigkeit von 2015, damit keine Dschihadisten nach Deutschland kommen.
Bei der Bewältigung der Krise sollten wir strukturell und nicht populistisch agieren. Wir können froh sein, dass die Bundeswehr den Gesundheitsämtern zur Verfügung steht. Ich hätte nicht nur 10.000, sondern 100.000 Soldaten eingesetzt.“