Bochum. Der VfL Bochum ist nach elf Jahren zurück in der Bundesliga. Unser Autor erinnert sich an seinen Vater, der das nicht mehr miterleben konnte.

Es ist der 31. Spieltag im Juni 2020. Ein sonniger Frühsommertag, durch das gekippte Fenster kommt frische Luft hinein. Der VfL Bochum liegt in Osnabrück mit 1:0 vorne, weil ein Spieler der Gastgeber den Ball freundlicherweise ins eigene Tor befördert hat. Papa und ich verfolgen das Spiel auf meinem Laptop. Die Palliativpflegerin betritt das Krankenzimmer. „Brauchen Sie gerade noch was, Herr Meinhardt?“ – „Ein 2:0 wäre gut.“ Wenige Minuten später erfüllt Stürmer Manuel Wintzheimer diesen Wunsch und versenkt den Ball im Osnabrücker Tor.

Es sollte der letzte Treffer sein, den mein Vater in seinem Fan-Leben miterlebt. Zwei Tage später stirbt er in diesem Zimmer im Augusta-Krankenhaus. Zwölf Jahre lang hatte er dem Krebs Paroli geboten. Wenn der VfL an den Wochenenden spielte, hatten Papa und ich in den letzten Monaten einen Termin vor dem Fernseher. 90 Minuten nicht über Krankheiten nachdenken, sei es nun Corona oder Krebs.

Legendäre Spiele im Stadion miterlebt

Mein Vater – 1953 in Hiltrop geboren – war das, was man einen lakonischen Westfalen nennen könnte. Im höchsten Grade ironisch, aber dabei nie verbittert sondern optimistisch. Sonst hätte er auch nicht so lange gegen seine Krankheit ankämpfen können.

Kritisch beäugte er, wie sein damals 13-jähriger Sohn sich während des Sommermärchens zur Nationalhymne erhob. Spiele der Nationalmannschaft ließen ihn einigermaßen kalt. „Aber sobald Bochum nur die Mittellinie übertritt, wird es aufregend“, scherzte er.

Leidenschaftlich erinnerte er sich an die Spiele, bei denen er im Stadion war. Zum Beispiel bei einer legendären Partie gegen die Bayern in den Siebziger Jahren. Das Stadion barst aus allen Ecken. Einige Fans wollten das Spiel auf einer Wurstbude stehend verfolgen, krachten aber durch das Dach, weil es ihrem Gewicht nicht standhielt. Trat ein Spieler zum Eckball an, mussten Ordner zunächst Zuschauer wegschieben. Die Erinnerungen amüsierten meinen Vater auch Jahrzehnte später noch.

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Papa war insgesamt ein stiller Fan – naja, außer wenn es nicht so lief. Nach einer miserablen Leistung konnten schon mal ganze Sonntage versaut und mein Vater für ein paar Stunden etwas muffig sein. Lange Jahre stand er selbst in der Ostkurve, wechselte später auf einen Sitzplatz, irgendwann schaute er nur noch vor dem Fernseher. Ausflüge ins Stadion wurden zu anstrengend.

Trotzdem: Die Wochenenden orientierten sich am Spielplan. Meine Mutter fand das nicht immer toll, hat es aber akzeptiert. Sie wusste, wie wichtig uns der VfL ist. An einem Ostersonntag aßen wir dann halt etwas früher unser Gulasch, um rechtzeitig den Anpfiff mitzubekommen.

„Wer 1:0 führt, der nie zu Null verliert“

Der VfL hat nach Jahren der Tristesse etwas Großes geschafft und die Stadt Bochum zurück auf die Karte der Erstligisten gebracht. Mir hat dieser Sport im Corona-Jahr in der eigenen Wohnung eine Struktur gegeben. Ist heute Dienstag oder Donnerstag? Egal, aber Samstag spiel‘n ‘se!

Mein Vater hat das leider nach elf Jahren Zweitklassigkeit knapp verpasst. Die nächste Saison wird ein Abenteuer. Von ihm bleiben mir fußballerische Weisheiten in Erinnerung wie „Wer 1:0 führt, der nie zu Null verliert“.

Am Abend seines Sterbetages besuchte mich ein Freund. Halb unter Tränen lachte ich, dass es ja schade sei, dass mein Vater den VfL nie mehr aufsteigen sehen wird. „Aber wir auch nicht“, antwortete mein Freund grinsend. Wir haben uns zum Glück geirrt, danke VfL.