Bochum. Sie fallen durch alle Raster: Zeitarbeitskräfte in der Pflege klagen, dass sie keine Impfung erhalten. In Bochum steht eine Klinik in der Kritik.
Annett Körner wähnte sich am Ziel. Nach etlichen Versuchen hatte die Krankenschwester an der Hotline der Kassenärztlichen Vereinigung einen Termin im Bochumer Impfzentrum erhalten. „Doch was ich bei Anmeldung im Ruhrcongress zu hören bekam, machte mich fassungslos“, schildert die 56-Jährige. „Mir wurde gesagt: ,Sie sind noch nicht dran!’ Nur deshalb, weil ich bei einer Zeitarbeitsfirma arbeite.“ Kein Einzelfall – und in den vergangenen Wochen eine offenkundige Lücke in der Corona-Impfkampagne. Erst ein in dieser Woche veröffentlichter Erlass der Landesregierung soll Klarheit schaffen.
Nie waren sie so wertvoll wie heute: Um Engpässe in der Pflege zu überbrücken, sind gerade in Coronazeiten nahezu alle Krankenhäuser auf Zeitarbeitskräfte angewiesen. Bundesweit mehr als 20.000 Mitarbeiter bilden die mobile Eingreiftruppe, ohne die viele Schichten auf den Stationen und in Pflegeeinrichtungen nicht besetzt werden könnten.
Corona in Bochum: Schwester wird im Impfzentrum abgewiesen
Annett Körner ist beim Personalüberlasser TS Medical in Düsseldorf beschäftigt. Als examinierte Krankenschwester ist sie in wechselnden Kliniken in der Region im Einsatz, auch bei der Versorgung von Corona-Patienten. „Umso wichtiger, dass ich frühzeitig geimpft werde“, sagte sich die Wattenscheiderin, ließ sich eine Bescheinigung ihres Arbeitgebers ausstellen, besorgte sich einen Termin im Bochumer Impfzentrum – und fühlt sich „abgefertigt und gedemütigt“, seitdem sie ohne Impfung den Heimweg antreten musste. Sie ist verbittert: „Wir werden von der Politik vergessen und rutschen durch alle Raster.“
Dabei ist die Reihenfolge, die die Ständige Impfkommission (Stiko) der Bundesregierung festgelegt hat, eindeutig. „Personen, die in Bereichen medizinischer Einrichtungen mit einem sehr hohen Expositionsrisiko in Bezug auf das Coronavirus tätig sind“, stehen derzeit – neben den über 80-Jährigen – auf der Prioritätenliste ganz oben. Ein Unterschied zwischen Stammbelegschaft und Zeitarbeitskräften wird nicht gemacht.
Zeitarbeitsfirma: „Es läuft etwas nicht richtig“
„Dennoch gehen zahlreiche unserer 80 Mitarbeiter leer aus“, berichtet TS-Medical-Geschäftsführer Nikolaus Richter. Die Kliniken seien nur vereinzelt bereit, die Zeitarbeitskräfte mit zu impfen. „Andere weigern sich und sagen: Der Arbeitgeber soll sich darum kümmern.“ Doch siehe Annett Körner: „Die örtlichen Impfzentren weisen unsere Mitarbeiter ab, weil sie nicht fest in einem Haus arbeiten.“
Der Chef einer großen Zeitarbeitsfirma in NRW untermauert die Kritik: „Wir haben alle Kunden angeschrieben und darum gebeten, unsere Mitarbeiter mit zu impfen. Und mit dem Hinweis: Es wird an Kosten nicht scheitern. Da läuft etwas nicht richtig im Ruhrgebiet.“
Drei Bochumer Kliniken machen keine Ausnahme
Wie handhaben es die Bochumer Kliniken? Das Bergmannsheil lässt die Zeitarbeitskräfte nicht außen vor. Auch ihnen werde „gemäß ihres Einsatzortes und ihrer Tätigkeit eine Schutzimpfung angeboten“, betont ein Kliniksprecher. Das gelte auch für das Knappschaftskrankenhaus Langendreer. „Wir haben seit 1. Februar eine Pflegefachkraft von einer Zeitarbeitsfirma im Einsatz. Sie hat bereits ein Impfangebot erhalten“, heißt es. Das Katholische Klinikum Bochum schließt sich an: Allen Honorarkräften sei „ein Impfangebot gemacht worden, das von vielen auch wahrgenommen wurde“, sagt ein Sprecher.
Derweil sind Leiharbeiter, die im Augusta-Krankenhaus seit Monaten Covid-19-Patienten versorgen, bis heute nicht geimpft. Ein „Riesenproblem“ erkennt Geschäftsführer Thomas Drahten, der sich aktuell dem Vorwurf ausgesetzt sieht, dass das Augusta Impfstoffe an Familienangehörige von Führungskräften verabreicht habe. Es gebe bisher keine Impf-Regelung für Zeitarbeiter, so Drahten.
Ministerium widerspricht Augusta-Chef
Dem widerspricht das NRW-Gesundheitsministerium. „Die Art eines Beschäftigungsverhältnisses von Arbeitnehmern“ spiele bei einer Impfung „keine Rolle. Entscheidend ist, ob das Personal Kontakt zu Risikopatienten hat“, erklärt Sprecherin Miriam Skroblies auf WAZ-Anfrage und verweist auf einen am Donnerstag (18.) veröffentlichten Erlass des Ministeriums, der den Sachverhalt nochmals verdeutliche.
Vor diesem Hintergrund hätte auch das Augusta-Krankenhaus den Leiharbeitern „ein Impfangebot unterbreiten müssen“, so Miriam Skroblies. Bei einem erheblichen Verdacht auf Missachtung der Impfverordnung könne die Bezirksregierung den Sachverhalt prüfen oder bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige bringen.
„Einfach alle durchimpfen – und das Problem ist erledigt“
Als „Ausrede“ wertet es TS-Medical-Chef Nikolaus Richter, wenn Kliniken es mit Verweis auf die Rechtslage ablehnen, Leihkräfte zu impfen. „Wer könnte etwas dagegen haben? Selbst wenn eine Zeitarbeitskraft wenig später das Haus verlässt, wäre der nächste Kollege, die nächste Kollegin geimpft.“
Brisant sei die Reduzierung auf Stammkräfte obendrein. Richter: „Es ist kein Geheimnis, dass Zeitarbeitskräfte in Kliniken besonders häufig bei Corona-Patienten zum Einsatz kommen, um das Stammpersonal zu schonen.“ Gerade diesen Mitarbeitern die Impfung zu verweigern, sei „völlig unverständlich und gefährlich“. Richter: „Einfach alle durchimpfen - und das Problem ist erledigt!“
Pflegekräfte warnen vor unnötigem Risiko
Annett Körner wartet unterdessen weiter auf eine Impfung. „Ich würde mich ja sofort nochmal darum kümmern“, sagt sie. „Aber muss ich nicht damit rechnen, auch beim nächsten Termin im Impfzentrum rausgeschmissen zu werden?“ Ein Kollege, ein Leiharbeiter aus Bochum, bekräftigt: „Ich nehme jeden Impfstoff. Ich möchte nur irgendeinen Schutz haben. Ich habe zwei kleine Kinder zu Hause. Nicht auszudenken, wenn sie das Virus mit in die Kita schleppen. Das ist doch ein unnötiges Risiko.“