Bochum. 2014 fiel ein Mann aus dem Fenster eines Bochumer Pflegeheimes und starb. Die Witwe verlangt Schmerzensgeld vor dem Bundesgerichtshof.

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verhandelt am Donnerstag (14. Januar) über den Sturz eines demenzkranken Pflegeheimbewohners am 27. Juli 2014 aus dem Fenster seines Zimmers im dritten Stock eines Bochumer Pflegeheims. Der Mann war am 11. Oktober 2014 an seinen Verletzungen gestorben.

Die Witwe des 1950 geborenen Seniors fordert als Miterbin mindestens 50.000 Euro Schmerzensgeld. Ihre Begründung: Das Bochumer Alten- und Pflegeheim habe keine ausreichenden Schutzvorkehrungen getroffen. Die Notwendigkeit einer besonderen Betreuung habe wegen Lauftendenz, Selbstgefährdung, nächtlicher Unruhe und Sinnestäuschungen bestanden.

Witwe spricht von erheblicher Pflichtverletzung

Der Mann war, so die Bescheibung des Gerichts, "hochgradig dement und litt unter Gedächtnisstörungen infolge Korsakow-Syndroms sowie psychisch-motorischer Unruhe. Zudem war er örtlich, zeitlich, räumlich und situativ sowie zeitweise zur Person desorientiert."

Die Witwe wirft dem Heimbetreiber eine erhebliche Pflichtverletzung vor und argumentiert, das Heim habe keine ausreichenden Schutzvorkehrungen getroffen. Der Abstand zwischen Fußboden und Fenster habe 1,20 Meter betragen. Vor dem Fenster hätten sich ein 40 Zentimeter hoher Heizkörper sowie in 70 Zentimetern Höhe eine Fensterbank befunden. Das Fenster sei nicht gesichert gewesen, so dass der demente Mann es problemlos habe öffnen können. Auch hätten Anhaltspunkte für eine Selbstgefährdung des Mannes vorgelegen.

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Das Landgericht Bochum hat die Klage auf Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 50.000 Euro plus Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abgewiesen. Das Oberlandesgericht Hamm folgte dieser Entscheidung.

OLG räumte ein, Heizung und Fensterbank waren "Kletterhilfe"

Die bisherigen Instanzen unterstützten die Sicht des Heimbetreibers, wonach nicht damit gerechnet werden konnte, dass der Demenzpatient aus dem Fenster klettert. Der Sturz habe sich im „normalen, alltäglichen Gefahrenbereich“ ereignet. Die Firma habe weder ihre vertraglichen Obhutspflichten noch die allgemeine Verkehrssicherungspflicht verletzt, entschieden die Gerichte. Die Pflichten der Heime seien zudem begrenzt und müssten „mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar“ sein.

In seinem Urteil räumt das OLG zwar ein, dass Heizkörper und Fensterbank „quasi als Leiter den Aufstieg erleichtert“ hätten. „Allein aufgrund dieser Kletterhilfen mussten die Mitarbeiter der Beklagten auch nicht damit rechnen, dass ein Bewohner, insbesondere der Erblasser aus dem Fenster hinauszusteigen versuchen würde.“ Auch wenn der Mann zuletzt viel Freude an Aufenthalten im Garten gehabt habe, hätten die Heimmitarbeiter nicht die Besorgnis haben müssen, dass er über das Fenster versuchen würde, in den Garten zu gelangen - zumal man diesen vom Fenster seines Zimmers aus gar nicht sehe.

Stiftung Patientenschutz: Klageweg ist für Angehörige oft aussichtslos

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz machte der Klägerin wenig Hoffnung: Für Angehörige sei der Klageweg oft aussichtslos, sagte Vorstand Eugen Brysch im Vorfeld der Verhandlung. Jedes Bundesland regele in einer eigenen Bauordnung den Schutz von Pflege- und Hilfsbedürftigen. Eine entscheidende Rolle spiele dabei, ob es sich um einen Neubau handele.

„Deshalb sind in den über 15.000 Pflegeheimen Absturzsicherung, Verbrüh- und Brandschutz praktisch unterschiedlich geregelt“, erklärte Brysch weiter. „Da auch die Garantenpflicht der Träger eher löchrig ist, wird es kaum Einrichtungen geben, die schadensersatzpflichtig werden.“ Selbst der Nachweis einer individuellen Schuld durch eine Pflegekraft verlaufe meist im Sande. (mit dpa)

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