Bochum. Die meisten gehen an Wolf Vostells Kunstwerk „Olympia-Hymne“ ohne Blick vorbei. Doch Achtung: Die Beton-Plastik neben dem Museum hat’s in sich!
Ein Rätsel im Stadtraum ist Wolf Vostells Plastik „Olympia-Hymne“, die man an der Ecke Berg-/Schillerstraße entdecken kann. Kaum einer kennt sie, keiner weiß um ihr Geheimnis. (Geschätzt) zehn von zehn Bochumern gehen an der Skulptur vorbei, ohne sie überhaupt zu bemerken. Das Beton-Objekt neben dem Museum ist das meist übersehene Kunstwerk in Bochum.
Und eines der skurrilsten dazu. Denn die „Olympia-Hymne“ ist in Wahrheit eine Fleischtheke, die der Künstler Vostell mit Beton „haltbar“ gemacht hat. Damit nicht genug: Mit seinem sperrigen Gebilde wollte er zugleich auf die Olympischen Spiele 1972 reagieren, die im selben Jahr in München stattfanden.
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Was ist das für eine verrückte Idee?
Die Zeiten Anfang der 1970er Jahre waren „verrückt“, zumal in der Kunst. Damals ging es um eine veränderte Sichtweise auf „Kunst an sich“ und um ein Umdeuten der Wirklichkeit, die als zunehmend technokratisch, anonym und menschenfeindlich aufgefasst wurde. Jedenfalls von Künstler wie Wolf Vostell, der sich seinen Ruf als führender Fluxus-Aktivist hart erarbeitet hatte.
Als was, bitte?
Fluxus: So heißt eine Kunstströmung, bei der es nicht mehr auf das Kunstwerk ankommt, sondern auf die schöpferische Idee. Fluxus wurde in den 1960er Jahren ein großes Ding. Nach dem Dadaismus war Fluxus der zweite elementare Angriff auf das Kunstwerk im üblichen Sinn – es wurde einfach negiert. Plötzlich konnte „alles“ Kunst sein, Autoreifen und eine Ladentheke ebenso wie eine Kriegsdampflok Baureihe 52. Ein solche Riesenmaschine platzierte Wolf Vostell 1993 auf dem Theatervorplatz in Marl, wo sie noch heute liegt. Auf dem Rücken, Räder nach oben.
Zur Person
Wolf Vostell (1932-1998) gehört zu den wichtigsten deutschen Künstlern der zweiten Hälfe des 20. Jahrhunderts. Seine Arbeiten und Aktionen wurden weltweit wahrgenommen. Vostell gilt als Pionier des Environment, der Videokunst, des Happening und der Fluxus-Bewegung.
„Ich erkläre den Frieden zum größten Kunstwerk“, lautet einer der Kernsätze des politisch radikal denkenden Künstlers. Für Vostell existierte eine um sich selbst kreisende „Welt der Kunst“ nicht; sie müsse vielmehr stets auf gesellschaftliches Handeln und Verantwortung bezogen werden.
Wie kam Vostell nach Bochum?
In den 70ern war Bochum ein Hotspot für radikalpolitische Kunst, dafür stand die Galerie Inge Baecker, die 1972 anlässlich der „Bochumer Kunstwochen“ mit dem Einkaufszentrum Ruhrpark eine Aktion zum Thema „Konsumgesellschaft“ aufgezogen hatte. Auch Wolf Vostell wurde eingeladen. Er ließ eine gebrauchte Ladentheke des Metzgers Herker aus Wiemelhausen – samt dem Wechselgeld in der Kasse und einigen Broten – verschalen und einbetonieren. Live mit Betonmischer, vor Publikum im Ruhrpark. Vostell fror die Theke damit gewissermaßen ein und ließ sie zu einem Sarkophag oder Denkmal erstarren, das von der Zeit, Wind und Wetter weiter verformt wurde. Bis heute sind im Beton Abplatzungen und Risse sichtbar. Das „Kunstwerk“ altert, wie auch eine antike Ruine altert.
Und was sollte das?
Die verfremdete Tante-Emma-Ladentheke ist einerseits Sinnbild für die Konsumgesellschaft, andererseits aber auch für eine immer mehr ins Hintertreffen geratene Kommunikation zwischen Verkäufer und Käufer. Ende der 1960er Jahre, also zu Vostells großer Zeit, liefen die Selbstbedienungs- und Supermärkten den kleinen Lebensmittelläden den Rang ab. In den Einkaufsparadiesen gab’s zwar „hübsche“ Musikberieselung, aber jeder Einkaufswagen-Schieber wurde zum isolierten Teil einer anonymen „Käufermasse“. Sein Kaufverhalten und das eigenen Selbstverständnis im Wirtschaftswunderland BRD zu überdenken, lautete die künstlerische Aufforderung.
Wie kam die Betontheke ins Museum?
Das Aktionsobjekt wurde nach Fertigstellung dem Bochumer Museum geschenkt und befindet sich, nachdem es vor langer Zeit auf der Wiese vor dem Altbau gestanden hatte, seit Jahren an der Ecke Berg-/Schillerstraße. Da der Beton der Theke zunehmend brüchig geworden ist, wird die Theke langsam durch die „Verpackung“ hindurch wieder sichtbar. Eine beigefügte Info-Tafel erläutert das Kunstwerk, doch wird das Geheimnis seines Namens nicht enträtselt: Er ist ironisch, aber auch politisch gemeint.
„Die menschlichen Zwänge/Depressionen und Notlagen bilden die ,Olympia-Hymne’, und zwar als Gegensatz zur Olympiade 1972, die als Staatsreklame (=Pseudo-Ereignis) keine Rücksicht auf die arbeitenden Menschen nimmt“, konstatierte Vostell. Bei den Spielen in München würden Millionen von Mark für „unnützes Zeug und für eine miese Leistungs-Ideologie“ verpulvert. „Was wir brauchen, sind keine Olympischen Spiele, sondern Aktionen, die den Menschen klarmachen, welche Frustrationen ihnen diese Leistungsgesellschaft aufzwingt“, so Wolf Vostell.
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Das Beton-Kunstwerk ist also auch eine Mahnung zum Innehalten im Getriebe der modernen Zivilisation, die immer mehr Anpassungsdruck, Konsum und Ablenkung produziert.
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