Bochum. Einen Angriff aus rassistischen Gründen wirf ein Schüler der Bochumer Polizei vor. Die Polizei stellt den Einsatzablauf jedoch etwas anders dar.

Ada Can Calikoglu war bis vor einer Woche war der 16-jährige Bochumer ein ganz normaler Gymnasiast, der in die Oberstufe der Theodor-Körner-Schule in Dahlhausen ging. Doch nun sei alles anders. Als er am vergangenen Donnerstag (10.) gegen 11.30 Uhr auf dem Weg zur Schule ist, sieht er sich plötzlich zwei ihm völlig fremden Männern gegenüber. Er sagt, er habe sich bedroht gefühlt. „Ich hatte noch nie solche Angst um mein Leben. Die Männer rissen mich heftig zu Boden auf den Asphalt.“ Zu diesem Zeitpunkt kann er nicht glauben, dass es sich tatsächlich um zwei deutsche Zivilfahnder der Polizei handelt, die ihn da festhalten, ihn mit den Knien auf seinem Rücken zu Boden drücken, wie Ada berichtet. „Für mich war das eine Kontrolle aus rassistischen Motiven“, sagt Ada. Die Polizei bestätigt den Einsatz, stellt den Ablauf jedoch anders dar. Was ist passiert?

„Zwei Männer gingen aggressiv auf mich zu“

An jenem Donnerstag hat Ada keinen normalen Unterricht. Doch er geht zur Schule, weil er dort jüngere Schüler zu beaufsichtigen hat. Es wird ein Jugendparlament an der Schule gewählt, eine Demokratieübung sozusagen. Doch er kommt nicht pünktlich in seiner Schule an: „Als ich von der Dr.-C.-Otto-Straße auf die Straße Auf dem Pfade einbog, kam plötzlich ein grauer Kleinwagen, bremste, fuhr vor mir auf den Bürgersteig und zwei Männer gingen aggressiv auf mich zu“, berichtet er.

Ada habe mit Kopfhörern Musik gehört und dabei die Hände in den Taschen gehabt. Aus den Augenwinkeln sah er andere Schüler, einige Menschen schauten aus Fenstern. Die Situation eskalierte, so empfindet es jedenfalls der 16-Jährige. Die Männer hätten ihn angeschrien. Er sagt, er hätte Angst um sein Leben gehabt. Als er gesagt habe, er glaube nicht, dass es Polizisten seien und nach einem Ausweis verlangte, soll einer der beiden gesagt haben: „Siehst Du nicht meine Weste! Siehst Du nicht meine Knarre! Hier, da steht Polizei!“

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Doch Ada will so geschockt gewesen sein, dass er einfach nur versucht habe weiterzugehen. Die Beamten sollen ihn, so gibt er an, rüde zu Boden gerissen haben, sein Arm schmerze noch heute. Erst als immer mehr Leute auf die Situation aufmerksam wurden, sollen die Polizisten von ihm abgelassen haben. Sie hätten nun verlangt, dass er sich entschuldigen solle: „Ich war so voll Panik, dass ich das gemacht habe, nur um weg zu kommen. Ohne weitere Erklärung sind die Männer dann gegangen und ich lief zur Schule.“

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Eltern erwarten eine Entschuldigung

In der Schule rief ein Lehrer die Polizei an, diese habe dem Lehrer bestätigt, dass es sich um einen Polizeieinsatz gehandelt habe, man hätte den Verdacht von Drogenhandel gehabt, und Ada habe die Hände in den Taschen gehabt, das habe auf Waffenbesitz hingedeutet. So soll es der Lehrer dem Schüler mitgeteilt haben. Die Schulleitung will sich aktuell aber nicht zu dem Vorgang äußern, „schließlich fand das Ganze nicht auf dem Schulgelände statt“, so Schulleiter Bernhard Arens.

Die Eltern Semre Sürücü (l.) und Mustafa Calikoglu mit ihrem Sohn Ada Can an der Stelle, wo der Vorfall mitten in Dahlhausen passierte.
Die Eltern Semre Sürücü (l.) und Mustafa Calikoglu mit ihrem Sohn Ada Can an der Stelle, wo der Vorfall mitten in Dahlhausen passierte. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Für die Eltern Mustafa Calikoglu und Semre Sürücü ist damit die Sache keineswegs erledigt. Beide leben seit vielen Jahren in Deutschland. Und was in diesem Zusammenhang für beide besonders widersinnig ist: Mustafa Calikoglu, seit vielen Jahren grünes Ratsmitglied in Bochum, setzt sich seit Jahrzehnten für die Integration von Ausländern in der Stadt ein. „Wir erwarten eine öffentliche Entschuldigung von der Polizei. Außerdem werden wir rechtliche Schritte einleiten. Bis heute hat kein Polizist mit uns oder meinem Sohn gesprochen oder auch nur gesagt, was sie ihm den eigentlich vorgeworfen hätten.“

Zum Ortstermin mitten in der ruhigen Wohnstraße in Dahlhausen, kommen auch drei sichtlich verunsicherte Freunde von Ada. Die 16-Jährigen Lukas, Alex und Leo gehen mit ihm in eine Stufe, spielen gemeinsam in einer Fußballmannschaft beim SV Waldesrand Linden. „Der kann keiner Fliege was zuleide tun“, sagen sie.

Familie will nicht zum Alltag übergehen

Die Familie Calikoglu will nicht zum Alltag übergehen. Ada Can steht immer noch unter dem Eindruck der Ereignisse, hat bereits einen Termin bei einem Psychotherapeuten: „Das ist für uns ein typischer Fall von ‘Racial Profiling’“, so die Eltern. Ein Vorgehen, das derzeit aufgrund von Polizeiübergriffen in den USA aber auch von Fällen in Deutschland diskutiert wird. Der Vorwurf: Polizisten würden allein aufgrund äußerlicher Merkmale (etwa ausländisches Aussehen) Menschen verdächtigen.

Was ist das, Racial Profiling?

Erst vor etwa zwei Jahren kam es zu einem aktenkundigen Fall am Bochumer Hauptbahnhof. Zwei Bundespolizisten kontrollierten dort einen Mann mit dunkler Hautfarbe. Die Kontrolle war rechtswidrig, so entschied das Oberverwaltungsgericht Münster. Es habe keine Anhaltspunkte für mögliche Straftaten gegeben, allein die Hautfarbe reiche nicht aus.

Der Begriff „Racial Profiling“ stammt aus den USA. Er bezeichnet ein auf Stereotypen und äußerlichen Merkmalen basierendes Verhalten von Polizei und Sicherheitsbehörden. Kritiker sehen darin Zeichen eines institutionellen Rassismus.

Das Ehepaar hat den Antidiskriminierungsausschuss des Landes NRW informiert, ein Berliner Anwalt, der sich mit solchen Fällen auskennt, hat seine Hilfe angeboten und auch die grüne Landtagsfraktion soll helfen.

Verdacht von „Racial Profiling“ geäußert

Mustafa Calikoglu, der jahrelang Vorsitzender der anerkannten Bochumer Medizinischen Flüchtlingshilfe (MFH) war, bekommt auch von dieser Seite Unterstützung: „Die Aussagen des Jugendlichen sind glaubwürdig. Es liegt daher nahe, dass hier aus rassistischen Motiven gewaltsam gegen einen jungen Mann vorgegangen wurde, der für die Beamten äußerlich in ihr Klischeebild vom jugendlichen Drogendealer mit Migrationshintergrund passte. Das ist Racial Profiling, denn andere Jugendliche in der Umgebung wurden nicht kontrolliert“, so der Arzt Knut Rauchfuss von der MFH weiter. Die Medizinische Flüchtlingshilfe fordert die Polizei daher auf, den Vorfall zu untersuchen, dienstrechtliche Konsequenzen gegen die Verantwortlichen einzuleiten und den Betroffenen aufgrund der „widerrechtlich erlittenen Polizeigewalt“ zu entschädigen.

Polizei betont: Nichts Unrechtmäßiges bei Einsatz

Die Bochumer Polizei bestätigt, dass es in der fraglichen Zeit zu einem Einsatz gekommen sei, weist aber ganz entschieden jeglichen Verdacht eines wie auch immer gearteten „Racial Profiling“ zurück. Polizeisprecher Volker Schütte: „An dem Einsatz waren zwei ganz erfahrene Polizeibeamte beteiligt, die sich in jeder Form korrekt verhalten haben.“ Die Beamten hätten sofort ihren Dienstausweis gezeigt und zusätzlich Polizeiweste und Waffen. Der Jugendliche sei erst zu Boden gebracht und fixiert worden – auf keinen Fall aber mit Knien am Kopf oder Halsbereich – nachdem er versucht habe zu fliehen. Wenn es Anlass zu Beschwerden gebe, könne jedermann diese direkt bei der Polizei vorbringen. Befragt nach dem Grund seiner Panik und seines Fluchtversuchs soll der Junge, so die Polizei, gesagt haben, dass es in der Türkei auch zu unrechtmäßigen Polizeiübergriffen komme. Dazu Schütte: „Wir sind hier in Deutschland, da gibt es so etwas normalerweise nicht.“

Was den Jungen aber konkret verdächtig gemacht habe, wollte die Polizei nicht sagen. Nur soviel: Im Umfeld der Schule, gerade zur fraglichen Uhrzeit, sei in der Vergangenheit wiederholt mit Drogen gehandelt worden. Derzeit seien Zivilbeamte im Nahbereich dieser Schule, aber auch an anderen Bochumer Schulen mit Ermittlungen beschäftigt. Schütte betont, dass nicht die Polizisten, sondern ein unbeteiligter Zeuge, ein älterer Mann, den Jungen während des Einsatzes angesprochen und ihn gebeten habe, sich zu beruhigen und bei den Beamten zu entschuldigen. Die Polizei weist ausdrücklich darauf hin, dass bei dem 16-Jährigen keinerlei Drogen gefunden wurden und auch sonst nichts gegen ihn vorliege.

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