Bochum. „Pure Verzweiflung“, so beschreibt ein Student der Ruhr-Universität Bochum das digitale Semester. Doch es gibt auch Studierende, die loben.
„Was blieb, war pure Verzweiflung und die Angst, dass es im nächsten Semester nicht besser wird.“ Die Zeile stammt aus einem anonymen Brief, der unsere Redaktion erreicht hat. Absender ist vermutlich ein Medizin-Studierender der Ruhr-Universität. Er beklagt sich, dass er während des vergangenen Semesters keine Online-Vorlesung gehabt habe. Zudem hätte er alte Skripte zur Verfügung gestellt bekommen, die Möglichkeit, Fragen zu stellen, sei ausgeblieben.
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Ein Einzelfall? Nicht ganz. Hört man sich an der Universität um, sind Meinungen und Erfahrungen bezüglich des digitalen Semesters sehr geteilt. Aufgrund von Corona konnte an der Ruhr-Uni im Sommersemester keine Präsenzlehre stattfinden. Was für die einen Studierenden sogar Vorteile brachte, wird von den anderen scharf kritisiert. „Das Feedback ist sowohl positiv als auch negativ“, sagt Ugur Ince, Referent im Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta) der RUB.
„Einige Studierende haben da wirklich mehr erwartet“
Der Problem-Melder des Asta sei im vergangenen Semester 40 Mal genutzt worden. Auch dort beschwerten sich Studierende, dass Dozenten statt Vorlesungen im Video- oder Audioformat nur Skripte hochgeladen hätten. Zudem beklagte ein weiterer Studierender, dass er lediglich die Möglichkeit hatte, Fragen in einem Forum zu stellen – so dass jedes andere Mitglied des Forums die Fragen mitlesen konnte. „Einige Studierende haben da wirklich mehr erwartet, andere sagen, dass die Uni es wenigstens versucht hat“, gibt Ince das Feedback der RUB-Studierenden weiter.
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Doch es gibt auch positives Feedback. „Studierende haben es sehr begrüßt, dass Tonaufnahmen von Vorlesungen dauerhaft abrufbar waren und heruntergeladen werden konnten“, sagt der Asta-Referent. Fanden Zoom-Videokonferenzen statt, hätte es teilweise mehr Gespräche gegeben als noch zuvor. Ince: „Manche Dozenten haben sogar Extra-Termine angeboten. Das ist online natürlich einfacher, weil dafür kein realer Raum gebucht werden musste.“
Fachschaft Medizin kann Vorwürfe nicht bestätigen
Ein weiterer Vorteil des vergangenen Semesters: Haben die Studierenden eine Klausur nicht bestanden, zählte das nicht als Fehlversuch. Sie können die Klausur im nächsten Semester ohne Nachteil erneut geschrieben werden. Genau das lobt auch die Fachschaft Medizin auf Anfrage der Redaktion.
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Veraltete Vorlesungsskripte, ellenlange Bücherlisten ohne Angaben von Priorität oder keine Möglichkeit Fragen zu stellen: Diese Probleme, die der anonyme Briefverfasser schildert, sind der Fachschaft Medizin nicht bekannt. Auch in diesem Studiengang hätte es Video-Veranstaltungen gegeben. Im Brief beschwert sich der Studierende insbesondere über die Veranstaltungen für das zweite Semester. „Da gibt es nur drei Fächer. Wenn davon eine schlecht läuft, wiegt das natürlich schwerer als bei mehr Veranstaltungen“, so die Fachschaft.
Umstellung auf digitale Lehre war nicht für alle einfach
In der Medizinfakultät sei auf speziellen Wunsch des Gesundheitsministeriums ganz besonders auf asynchrone Lehre gesetzt worden, so Dr. Frank Wissing, Leiter der Abteilung Lehre. Zu dieser Zeit ging man davon aus, dass auf Medizinstudierende als Helfer in den Kliniken während der Pandemie zurückgegriffen werden muss. So sollte eine besondere Flexibilität gewährleistet werden. Gleichzeitig habe es aber immer die Möglichkeit gegeben, Kontakt zu Lehrenden zu halten.
6000 Veranstaltungen pro Semester
Das Lehrangebot an der RUB besteht laut eigenen Angaben aus über 6000 Lehrveranstaltungen pro Semester: von Laborveranstaltungen, sportpraktischen Studien über Seminare und berufspraktischen- oder explizit forschungsbezogenen Lehrveranstaltungen und Praktika bis hin zu klassischen Vorlesungen.
Im kommenden Semester sollen 100 von 180 Seminarräumen an der RUB mit Kameratechnik ausgestattet werden, so dass Studierende mit Infekten Veranstaltungen von zu Hause verfolgen können und gleichzeitig ihre Mitmenschen schützen.
Dass die Umstellung auf die digitale Lehre nicht für alle Studierenden einfach war, weiß Wissing: „Studierende haben geschildert, dass das eine zusätzliche Belastung für sie war. Das war sie gleichermaßen für die Lehrenden.“ Es habe aber nur vereinzelt Fälle gegeben, bei denen lediglich Skript oder Folien zur Verfügung gestellt wurden. Gerade zu Beginn sei vieles improvisiert gewesen, es gab viele neue Veranstaltungsformate. Die Lehrenden an der RUB hätten binnen fünf Wochen nahezu die gesamte Lehre auf digitale Formate umgestellt. „Ein immenser Kraftakt und ein großer Erfolg“, meint Wissing.
Wintersemester: Teil der Lehre wieder in Präsenz
Insgesamt habe das Sommersemester gut funktioniert. Das würden auch verschiedene Studierendenbefragungen zeigen. Es zeige sich aber, dass es hier Unterschiede gibt. Wissing: „Im kommenden Wintersemester ist nun deutlich mehr Zeit für die Vorbereitung, die Erfahrung aus dem Sommersemester kann hier einfließen.“ Ein Teil der Lehre werde wieder in Präsenz stattfinden.