Bochum. 700 Jahre Bochum - na und? Warum ist das Besinnen auf die Stadtgeschichte wichtig? Kai Rawe, Leiter des Stadtarchivs, kennt die Antwort.
Gut acht Monate ist Kai Rawe jetzt in Amt und Würden, und noch lernt der neue Leiter des Stadtarchivs jeden Tag dazu. „Das ist auch gut so!“, befindet der Historiker, „denn ich strebe an, eines Tages alles Wesentliche der Bochumer Geschichte auf Zuruf parat zu haben“. Eine gute Gelegenheit, umfassend Detailwissen anzuhäufen, bietet der 700. Stadtgeburtstag im kommenden Jahr. Er wirft schon Schatten voraus.
Kerngeschäft: die Archivierung
Für Rawe und sein Team (24 Mitarbeiter/innen) sind die Vorbereitung auf das Jubiläum aber nicht das einzige Tagesgeschäft. Das Stadtarchiv dient dazu, sämtliche Bochum betreffenden Dokumente zu überliefern, zu bewahren und zugänglich zu machen. Die fortlaufende Archivierung und Sicherung der Bestände bleibt das Kerngeschäft.
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Darüber hinaus gelte es, das öffentliche Interesse an Stadtgeschichte nicht nur wachzuhalten, sondern möglichst noch bei Zielgruppen zu wecken, die bislang nicht so im Fokus standen. Best Ager und Familien sollen in Zukunft verstärkt angesprochen werden, hat sich Kai Rawe vorgenommen. Etwa, wenn er daran denkt, Ausstellungen durch museumspädagogische Angebote und eine entsprechende Didaktik auch für Familien mit Kindern interessant zu machen.
Nicht nur Daten, Zahlen, Fakten anhäufen
Dass Stadtgeschichte wichtig und nicht lässlich ist, darauf pocht der Historiker. Zugespitzte Fragen wie „700 Jahre Bochum, na und? Warum sollte man das feiern?“ kontert er mit der pointierten Antwort: „Warum nicht?!“ Um dann auszuführen, dass es beim Thema „Stadtgeschichte“ eben nicht um das Anhäufen und Eintrichtern von Daten, Zahlen, Fakten geht, sondern um das Aufzeigen von Zusammenhängen.
„Eine Stadt, und dann so eine alte Stadt wie Bochum, entwickelt sich nicht beständig in dieselbe Richtung. Es gibt prosperierende Zeiten und weniger gute. Und es gibt Brüche in der Historie.“ Alles zusammen mache den Gehalt aus, den eine Stadt für die Bewohnerinnen und Bewohner habe. „Die Geschichte schafft überhaupt erst das Verständnis für die eigene Stadt und ihre Besonderheiten“, weiß Rawe. So entsteht Identität. Dass die Bochumer sich als Bochumer fühlen, hat allein mit der erlebten und überlieferten Geschichte zu tun.
Stadtteile erzeugen Heimatgefühle
Wobei der Großraum „Bochum“ längst nicht mehr als einziger Bezugsrahmen begriffen wird, wie Rawe festgestellt hat. „Wir bemerken ein aufkommendes Interesse an der Geschichte einzelner Stadtteile, die Herkunft aus Langendreer oder Riemke oder Wattenscheid ist für die Menschen vor Ort oft von noch größerem Reiz und Interesse, als das Gesamtgebilde Bochum.“
„Das Jahr 1321 dient als Definitionspunkt“
Solche Zusammenhängen zu sehen, aufzudecken und „in Form“ zu bringen - das dürfte die große Herausforderung fürs nächste Jahr sein. Auch wenn historisch gar nicht gesichert ist, dass Bochum vor exakt 700 Jahren gegründet wurde, denn gewiss gab es auch vor diesem Zeitpunkt bereits eine Art städtische Gefüge. Für Rawe spielt das aber keine Rolle: „Das Jahr 1321 ist der Definitionspunkt, auf den sich das hiesige Stadtbewusstsein seit über hundert Jahren bezieht“, sagt er, „deswegen ist es berechtigt, die Jahreszahl als Aufhänger zu nehmen.“
Zur Person
Seit dem 1. Dezember 2019 leitet Dr. Kai Rawe das Bochumer Stadtarchiv und das Museum für Stadtgeschichte. Zuvor führte er elf Jahre das Stadtarchiv in Mülheim/Ruhr.
Rawe (50) stammt aus Menden und lebt seit 25 Jahren in Bochum. Der Historiker promovierte am Bochumer Institut für Soziale Bewegungen (Prof. Tenfelde) über „Zwangsarbeit im Bergbau während des Ersten Weltkriegs“.
Die Geschichts- und Erinnerungskultur ist über den langen Zeitraum naturgemäß stark angewachsen; es ist halt in 700 Jahren viel passiert. Dieses fundiert und nachvollziehbar habe man sich vorgenommen, sagt Rawe. Die Bochumer „Story“ will profund erzählt und dargestellt sein, was schon deshalb nicht einfach ist, weil die Themenvielfalt so groß ist wie die Vielfalt der Menschen, die hier gelebt haben und leben. „Mittelalter oder Bergbauhistorie. Arbeiterleben oder vor-industrielle Landwirtschaft. Die Geschichte des Theaters, der Stahlwerke oder der Disco ,Zwischenfall’ - für Menschen ist alles interessant, was mit ihrem Lebensumfeld zu tun hat“, sagt Rawe.
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Ihm als Wissenschaftler obliegt es, die multiplen Interessen unter einen Hut zu bringen. Aber bitte mit System und stets wissenschaftlich unterfüttert: „Ein geschichtlicher Gemischtwarenladen ist natürlich nicht gewollt.“
Ein gutes Jahr Zeit bleibt, um das Unternehmen „Jubiläumsausstellung 700 Jahre Bochum“ zu stemmen. Sie wird erst im Herbst 2021 eröffnet, also nach der Festwoche im Sommer.
Es ist Kai Rawes erste große Bewährungsprobe an neuer Wirkungsstätte.
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