Bochum. Wissenschaftler stellen in Bochum ein Impulspapier zum Klimanotstand vor. Kritik am bisherigen Handeln der Stadt wird mit vielen Daten unterlegt.
Was wie ein unmittelbar vor dem Rathaus provisorisch zusammen geschusterter Marktstand anmutet, hat es in sich. Direkt unterhalb der Büros der Stadtspitze bereitet am Freitag (4.) ein Quintett von fünf Wissenschaftlern aus, was recht harmlos den Titel „Impuls-Papier“ der „Scientists for Future“ trägt. Dabei ist das Dokument im Grunde eine kühle Abrechnung mit der Klimapolitik der Stadt Bochum der letzten Jahre. Bei der Veranstaltung der Fridays for Future-Bewegung vor dem Rathaus stellen die Wissenschaftler Einzelheiten vor.
Auf über 100 Seiten rechnet die Gruppe vor, wo es ihrer Ansicht nach hapert, wo die Versäumnisse der Stadt in Sachen Klimapolitik in der Vergangenheit aber auch der Gegenwart liegen. David Piorunek ist Werkstoffwissenschaftler an der Ruhr-Universität. Er sagt: „Wir laden Oberbürgermeister Thomas Eiskirch ein, mit uns über die Aussagen unseres Papiers zu sprechen. Über einen ernsthaften Austausch würden wir uns freuen.“
Blick auf das Impulspapier
Das „Impulspapier zum Klimanotstand in Bochum“, wie das 108 Seiten starke Dossier offiziell heißt, will Grundlagen, Analysen und Empfehlungen zur Klimasituation liefern.
In acht Kapiteln geht es um verschiedene Aspekte, die für die Bedeutung der Klimasituation Relevanz besitzen. Dabei geht es um den Klimawandel und regional heruntergebrochene Treibhausgasemissionen genauso wie um die biologischen und ökologischen Folgen.
Zum Schluss zeigen die Autoren auf, dass es auch in Zeiten knapper Kassen, Möglichkeiten geben könnte, Maßnahmen klimagerechter zu verwirklichen oder zumindest anzustoßen.
Worum geht es in dem Papier: Dorothee Meer ist Germanistikprofessorin an der Ruhr-Universität. Vor den rund 100 Klimaaktivisten, die trotz Nieselregen vor das Rathaus gezogen sind, erläutert Meer, die sich an der Uni sonst eigentlich um Kommunikation und Gesprächsforschung kümmert, die Absichten der Gruppe. „Es reicht eben nicht aus, dass die Stadt Bochum den Klimanotstand ausruft. Nein, jetzt müssen konkrete Handlungen folgen.“
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„Einiges wurde bereits getan“
Die Wissenschaftler unter dem grünen Zeltdach tragen einige der Kernaussagen aus dem Impulspapier vor. Dabei erkennen sie durchaus an, dass sich in Bochum bereits etwas getan habe. Als Beispiel führen sie Projekte etwa zum Insektensterben („Bochum blüht und summt“) oder Maßnahmen gegen das Aussterben einiger Arten an. Ausdrücklich loben sie auch die eingeleiteten Maßnahmen zur Mobilitätswende, wie sie etwa im Leitbild Mobilität verabschiedet wurden. Eines der Ziele daraus: Bis zum Jahr 2030 soll 60 Prozent des Verkehrs in der Stadt aus Öffentlichem Personennahverkehr, Rad und weiteren umweltverträglichen Verkehrmitteln bestehen. Das Auto soll zurückgedrängt werden.
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Doch die Wissenschaftler zeigen auf, dass viele Fakten eine andere Sprache sprächen. So habe sich der Anteil der in Bochum angemeldeten Pkw in den letzten 4,5 Jahren um 15 Prozent auf jetzt 204.240 Autos gesteigert. „Bochum ist im Ruhrgebiet zusätzlich die Stadt, auf die die meisten Pkw auf 1000 Bewohner kommen“, heißt es wenig schmeichelhaft in dem Papier.
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Kritische Fragen gestellt
Ähnliche kritische Fragen werden zum Thema nachhaltige Energieversorgung gestellt. Wenn die Zahlen zutreffen, kommen lediglich 2,1 Prozent des in Bochum verbrauchten Stroms aus regenerativen Energien. Das größte Potenzial, diesen Anteil auszubauen, sehen die Wissenschaftler in Photovoltaikanlagen. Doch erst 3,2 Prozent der Möglichkeiten würden tatsächlich genutzt.
Meer, Piorunek und die anderen Wissenschaftler erinnern an den Bochumer Agenda 21 Beirat. 16 Jahre lang versuchte das mit wenig bis gar keinen strukturellen Entscheidungskompetenzen ausgestattete Gremium Änderungsprozesse anzustoßen, bis das zunächst ein wenig sprießende Pflänzchen mehr und mehr verkümmerte, bis es schließlich kaum beachtet und wohl nur von wenigen vermisst, einging. So erinnerte sich Ingo Franke, einst eine der treibenden Kräfte des Beirats schon vor fünf Jahren in dieser Zeitung.
Die Erkenntnis, dass aktuell besonders die Corona-Krise den städtischen Spielraum für Investitionen auch im Klimabereich einschränke gibt es bei den Klimaaktivisten schon. Doch sie sehen trotzdem Möglichkeiten, so jedenfalls das Impulspapier: „Zusätzlich kann sich die Stadt Bochum um Fördergelder für nachhaltige und klimafreundliche Infrastrukturverbesserungen bemühen“. Hier sei die enge Zusammenarbeit mit anderen Kommunen unabdingbar.
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