Bochum-Innenstadt. Laien präsentieren sich bei alternativer Modenschau am Imbuschplatz – ohne Vorschriften. Ihr Stil ist Vintage und sexy bis hin zu politisch.

Sifatullah Ashori trägt ein weißes Kleid, darunter eine weiße Hose und auf dem Kopf eine Bedeckung aus Wolle, genannt „Pakol“. „Das ist afghanische Traditionskleidung, sie erinnert mich immer an meine Heimat“, erklärt der 20-Jährige. Er trage sie nicht in seiner Freizeit, weil er stets seltsame Blicke ernte. Jonathan Arava hat seine Fingernägel türkis lackiert, sein schwarzer Rock reicht bis zum Boden, ein schulterfreies Top passt farbig dazu. „Ich bin noch in der Findungsphase und traue mich noch nicht, alles in der Öffentlichkeit zu tragen“, sagt Arava. In dem heutigen Outfit fühle er sich aber wohl. Bei der alternativen Modenschau am Imbuschplatz in Bochum, organisiert vom studentischen Team „Famsak“ im Rahmen eines Uni-Seminars, haben Ashori und Arava die Chance die Kleidung zu zeigen, die sie repräsentiert.

Bochumer Studierende setzen mit alternativer Modenschau ein Zeichen gegen die Modeindustrie

„Es geht heute nicht darum, irgendwelche Vorgaben zu machen. Die Models dürfen zeigen, wer sie sind – und wir zeigen, wie divers Bochum ist “, sagt Organisatorin Fine Harig. Gemeinsam mit fünf weiteren Studierenden der Ruhr-Universität hat die 22-Jährige das Seminar „Theorie und Praxis des Projektmanagements“ besucht und die Idee zur alternativen Fashion-Show entwickelt.

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Der „Sommer auf dem Imbuschplatz“ – ein Veranstaltungsformat für Open-Air-Kunst und -Kultur an der Ko-Fabrik – dient als Plattform dafür. Dabei wird auch auf Hygieneregeln geachtet: Die kostenlosen Tickets mussten online vorab gebucht werden, Stühle sind mit Abstand aufgestellt, außerhalb der Plätze herrscht Maskenpflicht.

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Mit der Aktion wollen die Studierenden einen Missstand beheben: „Die Mode in den Geschäften repräsentiert nicht die Gesellschaft“, finden Harig und ihr Team. Zu oft gehe es auf den Laufstegen darum, Models in bestimmte Kategorien zu pressen. „Wir wollen die Reproduktion von Schönheitsidealen heute aufbrechen“, erklärt Teammitglied Meike und Simon ergänzt: „Es gibt nicht nur körperliche Abstände, auf die wir in Zeiten von Corona vermehrt achten, sondern auch Abstände in den Haltungen zu Anderen, woraus Rassismus entstehen kann.“

Barbara Luther und Wolf Brehmer aus Bochum haben sich diese Outfits in ihren Kleiderschränken zusammengesucht.
Barbara Luther und Wolf Brehmer aus Bochum haben sich diese Outfits in ihren Kleiderschränken zusammengesucht. © FUNKE Foto Services | Alexa Kuszlik

Deshalb gehe es darum, ein Zeichen gegen die Konventionen der Modeindustrie zu setzen. Davon hat sich auch Zora (16) angesprochen gefühlt: Bei Elektrobeats zeigt sie dutzenden Zuschauern ihren Stil: Bunt geringelte Strumpfhose, ein Shirt mit der Aufschrift „Still loving feminism“, raspelkurze Haar und schwarze Sneaker, auf die sie mit Nagellack „Antifa“ geschrieben hat. „Mein Stil ist bunt, ranzig, politisch – einfach meins“, sagt sie. Eine Modenschau, bei der man ohne Vorgaben zu Geschlecht, Maßen oder Normen mitmachen könne, sei ganz neu und habe in Bochum gefehlt.

Gefunden haben die Organisatoren die rund 20 Models über Social Media, aber auch durch Plakate und Scouts in der Stadt. „Ich bin auf dem Moltkemarkt angesprochen worden, ob ich mitmachen will. Da habe ich genau dieses Kleid getragen“, erzählt Barbara Luther und präsentiert ihr Outfit: Ein Kleid mit bunten Blumen, einen beigen Wollhut, dazu ein rosa Schal aus dem Indienurlaub.

Laufsteg vor Ko-Fabrik

Auch Partner Wolf Brehmer präsentiert, wer er ist: Mit einer karierten Hose, braunen Schlangenlederstiefeln, einem geblümten Designerhemd und einem dünnen Umhang. „Ich nenne das American-Vintage-Style“, sagt er. Mode gehöre für ihn zur Identität genauso wie Musik und Kunst. „Sein Kleiderschrank ist fünfmal so voll wie meiner“, sagt Barbara Luther und lacht.

Begleitende Kunstausstellung

Zum Projekt gehört eine Kunstausstellung zum Thema „Nähe und Distanz“, die in Bochumer Cafés zu sehen ist.

Im „Pearlz by Barzani“ (Kortumstraße) sind expressive Werke von Carina Hommel ausgestellt, Kevin Schott zeigt im „Café Ferdinand“ (Ferdinandstraße) Abbildungen spontaner Formen und Gedanken. Im „Fräulein Coffea“ (Oskar-Hoffmannstraße) gibt es Reisebilder der iranischen Künstlerin Zahra Sadeghi.

Besucherin Ursula Langheit hat zwar noch nie eine Modenschau besucht, ist sich aber sicher: „So eine Veranstaltung in Paris wäre mir zu abgehoben. Ich bin gespannt auf die Laien-Models.“ Dazu gehört auch die neunjährige Karolina: „Ich habe weiße Schuhe an und eins meiner Lieblings-Tops“, sagt sie. Auf dem pinken Oberteil ist zu lesen: „Girl Power“.

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Kurz bevor es losgeht, ist Karolina noch mächtig aufgeregt, auf dem Laufsteg unter Platanen und mit Beifall des Publikums scheint dann aber jede Nervosität verflogen. Vielleicht liegt es daran, dass die Models an diesem Abend keine Rolle spielen müssen – sondern einfach nur sie selbst sein dürfen.

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