Bochum. Pfarrer Holger Nollmann blickt zurück auf fünf Jahre mit Flüchtlingen. Was sich in Bochum verändert und ob sich überhaupt etwas geändert hat.

Aus ganz verschiedenen Perspektiven hat die WAZ-Redaktion in den vergangenen Wochen das Thema Flüchtlinge beleuchtet. Dabei ging es um den Bau von Unterkünften, die ganz persönlichen Geschichten von Flüchtlingen, die Sorgen von Anwohnern, das große Engagement vieler Menschen in der Stadt aber auch um die Zuspitzung der politischen Debatten. Im Hintergrund immer präsent: Die Frage, wie und ob überhaupt sich die Bochumer Stadtgesellschaft nach 2015 verändert hat. Darüber haben wir mit dem evangelischen Pfarrer Holger Nollmann (55) gesprochen, der lange Zeit Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Flüchtlinge war. Außerdem steht er mit der Gründung des Stadtteilzentrums „Q1“ in Stahlhausen ganz konkret für einen aktiven Umgang mit der Thematik. Dieses Interview schließt unsere Serie ab.

Viele Menschen haben sich engagiert

Gleich zu Beginn – was glauben Sie, hat die Flüchtlingskrise die Stadtgesellschaft verändert, hat sich Bochum dadurch verändert?

(kurzes Nachdenken) Nein, letztlich glaube ich nicht, dass sich etwas verändert hat. Es haben sich nur die besten und die schlechtesten Eigenschaften der Menschen deutlicher als sonst gezeigt. Es gab eine Welle von Mitmenschlichkeit, Empathie und Solidarität, viele Menschen haben sich engagiert. Aber es hat auch bei einigen Menschen den Egoismus, das – um einen theologischen Begriff zu verwenden – ‘in sich selbst verkrümmt sein’ verstärkt.

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Pfarrer Holger Nollmann spricht über die Entwicklungen zur Flüchtlingssituation in den letzten fünf Jahren.
Pfarrer Holger Nollmann spricht über die Entwicklungen zur Flüchtlingssituation in den letzten fünf Jahren. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Wie kam es überhaupt, dass die Arbeitsgemeinschaft Flüchtlinge gegründet wurde und wie kamen sie persönlich dazu?

Schon vor 2015 hatten wir in Stahlhausen zusammen mit dem Verein Ifak damit begonnen, unser Gemeindezentrum (Friedenskirche in Stahlhausen) zu einem Stadtteilzentrum auszubauen und einen Ort der Begegnung zwischen Kulturen und Religionen zu schaffen. Und als bei dem Anstieg der Flüchtlingszahlen die Politik in Bochum mit der Arbeitsgruppe Flüchtlinge ein neues Gremium gründete, wurde ein Moderator gesucht, der nicht politisch gebunden ist. Das habe ich gerne gemacht.

Q1 – Haus für Kultur, Religion und Soziales

Das Q1 ist ein Modellprojekt in gemeinsamer Trägerschaft von Ifak und der Evangelischen Kirchengemeinde Bochum. Es wurde im April 2015 eröffnet. Das Projekt gewann den 1. Preis der Wüstenrot Stiftung im bundesweiten Wettbewerb „Kirchengebäude und ihre Zukunft“, zudem ist es Pionierstandort des Kooperationsprojektes „Kirche findet Stadt“.

Das „Q1 - Eins im Quartier - Haus für Kultur, Religion und Soziales“ im Westend leistet einen wichtigen Beitrag zur sozialen und kulturellen Entwicklung und strahlt weit über die Stadtteile Griesenbruch, Stahlhausen und Goldhamme hinaus. Es steht für eine Öffnung und die dynamische Weiterentwicklung bereits bestehender sozialer Angebote und Arbeitsfelder.

Mehr Informationen finden sich im Internet.

Manche suchten nach einem Sündenbock

Es gab und gibt aber nicht nur die Gutmeinenden...

In den letzten Jahren mussten immer wieder die Geflüchteten hinhalten, wenn Menschen nach einem Sündenbock für ihre eigenen Probleme suchten. Menschen, die geerdet sind, ob durch ihren Glauben, ihren Humanismus oder durch ihre soziale Einbindung, sind da nicht so empfänglich. In vielen Einzelgesprächen der letzten Jahre habe ich das bemerkt. Wer zuhören kann, wer offen ist für andere Menschen und ihre Kultur, der kann in der Begegnung mit Geflüchteten Erfahrungen machen, die den Horizont weiten und ihn selbst weiterbringen.

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Sie sagten zu Beginn, es hätte sich nichts verändert. Aber jetzt, nachdem die dringendsten Probleme, der Wohnraum, die Betreuung angegangen sind, was kommt jetzt?

Jetzt steht das Wichtigste und zugleich wohl auch Schwierigste an, die Integration. Die wesentlichen Elemente dabei sind – neben der Wohnsituation – der Spracherwerb, eine Beschäftigung und möglichst viele soziale Kontakte zu anderen Bochumern und Bochumerinnen. Politisch muss dabei bedacht werden, dass die Geflüchteten in ganz unterschiedlichen Situationen leben, etwa, wenn sie als Langzeitgeduldete mit rechtlich unsicherem Status hier leben. Hier wird es vor Ort auch immer wieder darum gehen, kommunale Spielräume zum Wohle der Menschen auszuloten. Das geht weiter, auch wenn sich die Arbeitsgruppe Flüchtlinge nach 17 Sitzungen aufgelöst hat. Es war wichtig, dass unsere Sitzungen nicht öffentlich waren. Da ließen sich viele Herausforderungen zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft vertrauensvoll angehen.

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Was glauben, Sie woran lässt sich erkennen, ob tatsächlich Integration funktioniert?

Die Trennung in ‘Wir und Die’ muss sich immer mehr auflösen; wo das gelingt, da ist Integration erfolgreich. Viele Geflüchtete haben einen sehr liebevollen Blick auf Deutschland und wollen mit ihrem Einsatz dem Land, das sie aufgenommen hat, auch etwas zurückgeben.

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