Bochum. Der Europaabgeordnete Dennis Radtke aus Bochum kritisiert die Ergebnisse des EU-Gipfels. Der CDU-Mann fühlt sich und das Parlament gedemütigt.
Der Europaabgeordnete Dennis Radtke (41) aus Bochum kritisiert die Ergebnisse des EU-Gipfels scharf. Der CDU-Politiker spricht von einer Demütigung des Europa-Parlaments durch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Radtke hält das 1,8 Billionen Euro schwere Gesamtpaket für nicht zustimmungsfähig.
Herr Radtke, was missfällt Ihnen am Paket der Staats- und Regierungschefs Europas?
Dennis Radtke: Der Kompromiss weicht deutlich von dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission ab und ist meilenweit entfernt von den Forderungen des EU-Parlaments. Zur Finanzierung der Corona-Hilfen und des Klimaplans von Ursula von der Leyen wurde in wichtigen Bereichen wie Forschung, Digitalisierung und Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, aber auch beim Grenzschutz massiv der Rotstift angesetzt. Das ist vollkommen inakzeptabel.
War das bei einem 1,8 Billionen-Euro-Paket überhaupt erforderlich?
Das hört sich viel an, aber es geht hier im Prinzip um drei verschiedene Maßnahmen. Über den eine Billion Euro schweren EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2018 streiten wir bereits seit zwei Jahren. Eine Billion verteilt auf sieben Jahre, das ist nicht viel. Es entspricht jährlich gerade einmal dem Doppelten des Haushalts von Nordrhein-Westfalen. Finanziert werden muss daraus auch der New Green Deal. Hinzu kommen 800 Millionen an Coronahilfen.
Welche Rolle spielt das Parlament bei diesen Entscheidungen?
Das ist ja genau der Punkt. Wir sind an der Haushaltsgesetzgebung maßgeblich beteiligt. Wenn wir aber bei der Verwendung der Coronahilfen nur auf der Zuschauerbank sitzen dürfen und im Grunde die EU-Kommission alleine festlegen kann, was mit diesem Geld passiert, dann ist das in meinem Verständnis eine Teilentmachtung des Parlamentes.
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Sie sprechen gar von einer Demütigung.
Ja, der Auftritt der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Parlament war nichts anderes. Was gestern noch bei der Rechtsstaatlichkeit und der Kontrolle von EU-Mitteln ein großer Erfolg war, ist heute angeblich eine bittere Pille. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, während der Verhandlungen auf die Rolle und Wichtigkeit des Parlaments hinzuweisen.
Wie werden Sie darauf reagieren?
Es geht mir nicht darum, über jeden Euro einzeln abzustimmen. Wir müssen aber beteiligt werden bei den Kriterien zur Mittelvergabe und bei der Kontrolle der Mittelverwendung. Insbesondere bei der Frage, wer ist der Empfänger des Geldes, muss es volle Transparenz geben. Wir wollen nicht, dass Coronahilfen zum Beispiel in Firmen des tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babis landen und wir nicht einmal davon wissen. Babis profitiert bereits heute als Multimilliardär mit seinen Unternehmen von EU-Fördergeldern.
Auch anderen Stellen versickern immer wieder EU-Millionen, wie wollen Sie das künftig verhindern?
Das wird es immer geben. Da, wo Gelder an Menschen ausgezahlt werden, haben Sie es immer sofort auch mit zwielichtigen Gestalten und Kriminellen zu tun. Das haben Sie auch bei der Auszahlung von Coronahilfen in Nordrhein-Westfalen gesehen. Im Haushaltskontrollausschuss sind wir aber in den vergangenen Jahren schon deutlich besser geworden. Bei konkreten Verdachtsfällen kann die Auszahlung von Mitteln sofort gestoppt werden.
Die Vergabe der EU-Millionen sollte ursprünglich auch an einen Rechtsstaatsmechanismus geknüpft werden.
Das Abschlussdokument des Gipfels ist in dem Punkt leider sehr vage. Wenn auf der einen Seite der ungarische Präsident Viktor Orban und sein polnischer Kollege Andrzej Duda sagen, wir haben alle unsere Ziele erreicht, und auf der anderen Seite der französische Präsident Emmanuel Macron sagt, alles ist super, dann stimmt was nicht. Es kann nur eine Seite Recht haben. Hier müssen wir auf jeden Fall nacharbeiten.
Am Ende wird es doch bei kritischen Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten vermutlich wieder nur auf den erhobenen Zeigefinger hinauslaufen. Sanktionen bleiben doch fast immer aus. Wo ist ihre Schmerzgrenze?
Es geht nicht darum, jeden Verstoß gegen EU-Recht automatisch zu sanktionieren. Aber wenn die Freiheit von Forschung und Lehre bedroht ist, wie bei der faktischen Schließung der Universität in Budapest oder Verfassungsgerichte rein nach politischen Kriterien aufgestellt werden wie in Polen, dann muss das Folgen haben. Diese Länder verstehen nur eine Sprache: es kommt kein Geld mehr an.
Können Sie nachvollziehen, dass viele Bürger beim Blick auf den Verlauf und auf die Ergebnisse des EU-Gipfels die Nase voll haben von Europa?
Das Bild, das in Teilen entsteht, ist in der Tat ein Desaster. Wer aber ist Europa? Als Abgeordneter habe ich mit dem, was auf dem Gipfel passiert ist, erst einmal Nullkommanix zu tun. Ich nehme ja nicht teil, ich bin kein Staats- oder Regierungschef. Ich werde aber in Mithaftung genommen, für das, was sich da abspielt.
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Der Gipfel ist ja nur ein Beispiel.
Richtig, zum katastrophalen Bild gehören auch der Brexit und die Wahl der Kommissionspräsidentin. Wir haben über Monate für etwas anderes geworben, nämlich für das Spitzenkandidatenmodell. Und auf einmal ist es Frau von der Leyen. Und jetzt folgt die nächste Hängepartie. Es ändert aber nichts daran, an dem Projekt Europa festzuhalten und sich Mühe zu geben. Mich ärgert auch die Darstellung in vielen Medien, die von Gewinnern und Verlierern berichten. Wir sind doch nicht beim Kugelstoßen.
Könnte es am Ende wieder so sein, dass das Parlament so wie Sie jetzt laut poltert, aber dem Paket nach der Sommerpause dann doch zähneknirschend zustimmt?
Es ist schon einmal ein Haushalt abgelehnt worden. Ob das aber ein realistisches Szenario ist, weiß ich nicht. Insbesondere die Abgeordneten aus den südlichen Ländern verspüren einen enormen Druck aus ihren Heimatländern. Das gehört zur Wahrheit leider auch dazu.