Bochum. Im März starb in Bochum der erste Corona-Patient. Jetzt übt sein Sohn Kritik an der Stadt. Wurde ein Test für den 54-Jährigen zu spät terminiert?

„Papas Tod darf nicht umsonst gewesen sein“, sagt Leonard Heß. Im März war sein Vater der erste Corona-Tote in Bochum. Nun geht der 22-Jährige in die Offensive. Das Gesundheitsamt habe einem Test bei seinem Vater damals erst mit neun Tagen Wartezeit zugestimmt. „An dem Termin“, sagt Leonard Heß, „war Papa schon drei Tage tot.“ Die Stadt weist jegliche Verantwortung zurück.

Am 7. März war Thomas Henkel mit drei Arbeitskollegen in den Skiurlaub nach Österreich gereist. Fünf Tage Auszeit in Ischgl, ab auf die Piste, abends Party, wie schon mehrfach zuvor. Corona? Zu dieser Zeit noch kein großes Thema, schon gar nicht für den 54-jährigen Thomas Henkel, „sportlich, fit, ein Mann wie ein Baum“, wie sein Sohn im WAZ-Gespräch erzählt.

Ischgl-Rückkehrer sollte neun Tage auf einen Test warten

Nach der Rückkehr am 11. März habe sein Vater Durchfall und erhöhte Temperatur gehabt, „aber nichts Ernsthaftes, vor allem keinerlei Husten“, erinnert sich Leonard Heß. Inzwischen war Corona ein Thema. „Deshalb riefen wir gleich am nächsten Tag bei der Stadt an und fragten vorsichtshalber nach einem Test. Aber es hieß, Ischgl sei kein Risikogebiet. Ein Test sei nur bei entsprechenden Symptomen oder bei einem nachgewiesenen Kontakt mit einem Erkrankten möglich.“

Einen Tag später, am 13. März, erklärt die Bundesregierung ganz Tirol zum Risikogebiet. Ischgl gilt fortan als Corona-Hotspot. Thomas Henkel hat immer noch Durchfall und Fieber. Der Hausarzt habe seinem Vater eine Elektrolyt-Lösung verschrieben und ihn ans Gesundheitsamt verwiesen, schildert der Sohn. Nichts hilft. Am 14. März ruft die Familie erneut die städtische Corona-Hotline an. Diesmal gibt es einen Termin für die neu eingerichtete Drive-in-Stelle in Harpen – „für den 23. März“.

Familienvater starb im Bergmannsheil

Am 17. März verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Familienvaters rapide. Mit dem Rettungswagen wird er ins Bergmannsheil gebracht. „Mein Vater ist noch selbst in den Krankenwagen gestiegen“, erinnert sich Leonard Heß, der eine Ausbildung zum Biologisch-Technischen Assistenten absolviert.

Es ist das letzte Mal, dass Mutter und Sohn Thomas Henkel lebend sehen. Ein sofortiger Corona-Test in der Klinik fällt positiv aus. Noch am Abend wird er mit einer schweren Lungenentzündung ins künstliche Koma versetzt. Am 20. März stirbt der Software-Entwickler an multiplem Organversagen in Folge von Covid-19.

In der ZDF-Talkshow von Markus Lanz berichtete Leonard Heß über das Schicksal seines Vaters. „Papas Tod darf nicht umsonst gewesen sein“, sagt der 22-Jährige.
In der ZDF-Talkshow von Markus Lanz berichtete Leonard Heß über das Schicksal seines Vaters. „Papas Tod darf nicht umsonst gewesen sein“, sagt der 22-Jährige. © © ZDF, Cornelia Lehmann

Sohn: In Gelsenkirchen ging es schneller

Leonard Heß’ Kritik an der Stadt richtet sich nicht auf den 12. März, als ein erster Corona-Test versagt wurde. „Damals konnte man wohl nicht anders handeln.“ Dass es am 14. März bis zur Testung jedoch neun Tage dauern sollte, hält er für fragwürdig – „zumal für einen Ischgl-Urlauber“. Die drei Kollegen, die mit in Tirol waren, wohnen in Gelsenkirchen: „Auch sie hatten Symptome. Bei ihnen ging es mit den Tests deutlich schneller als in Bochum.“ Allen gehe es inzwischen wieder gut.

Seit März 20 Corona-Tote in Bochum

Thomas Henkel war nicht nur der erste, sondern mit 54 Jahren auch der bisher mit Abstand jüngste Corona-Tote in Bochum.

Seither waren 19 weitere Tote zu beklagen – zuletzt eine 65-jährige Bochumerin, die in der Nacht zum vergangenen Samstag laut Stadt an den Folgen des Coronavirus gestorben ist.

Die Verstorbenen waren meist Bewohner von Altenheimen, allein neun im Heinrich-König-Seniorenzentrum in Weitmar.

Im Gespräch mit der WAZ, ebenso wie vergangene Woche beim ZDF-Talker Markus Lanz, ruft Leonard Heß dazu auf, aus dem Tod seines Vater Lehren zu ziehen. „Wann ein Test erfolgt oder nicht, darf nicht vom Wohnort abhängen.“ Jeder müsse das Recht haben, so frühzeitig wie möglich getestet zu werden. Das sei jetzt Alltag. Erst jetzt. „Solch eine Pandemie kann ja immer wieder kommen.“

Stadt: Termine gab es so kurzfristig wie möglich

Die Stadt nimmt auf WAZ-Anfrage Stellung. Man habe frühzeitig auf die Pandemie reagiert, einen Krisenstab und die Drive-in-Stelle eingerichtet und „stets nach den jeweils aktuellen Kriterien des Robert-Koch-Instituts gehandelt“, erklärt Sprecherin Tanja Wißing. Am 12. März – dem Tag, als Thomas Henkel erstmals um einen Test gebeten hatte – habe ein Patient dafür unbedingt Corona-typische Symptome wie Atemnot aufweisen müssen. „Für die Stadt Bochum bedeutete dies, dass (...) eine Testung der Ischgl-Rückkehrer nicht zwingend vorgeschrieben war“, so Tanja Wißing.

Als Ischgl wenig später zum Risikogebiet wurde, sei umgehend mit der Testung von Reiserückkehrer begonnen worden: so kurzfristig wie möglich, wie die Stadt betont, zugleich aber auf die täglich bis zu 1000 Anrufe verweist, die zu Hoch-Zeiten der Pandemie Mitte März an der Hotline aufliefen. Bis zu 300 Tests gab es damals täglich. Bis heute waren es 10.600. In kritischen Fällen seien die Anrufer stets auch angehalten worden, den Rettungsdienst zu informieren.

Einzelheiten zum Fall von Thomas Henkel nennt die Stadt aus Datenschutzgründen nicht.