Bochum. Bochum hat den Weg für ein neues Radverkehrskonzept geebnet. „Das wurde auch Zeit“, so Radaktivisten. Die Stadt hänge ihren Zielen hinterher.

Seit 2016 gilt Bochum als fahrradfreundliche Stadt. Aus Sicht von Kritikern wie den vielen im Radwende-Bündnis vereinten Interessengruppen ist es mit der Fahrradfreundlichkeit und mit umweltbewusster Mobilität aber noch nicht so weit her. Ein neues Radverkehrskonzept soll nun die Basis für den weiteren Radverkehrsausbau in den nächsten zehn Jahren bilden.

Allerdings: Vor 2022 wird dieses Konzept nicht vorliegen. Zwar hat die Politik dessen europaweite Ausschreibung beschlossen und dafür 250.000 Euro bereitgestellt. Aber bis zur Vergabe der Leistung an ein Ingenieurbüro und bis zur Umsetzung dauert es noch. Dabei sollen die Bochumerinnen und Bochumer bis 2030 insgesamt 60 Prozent der Wege mit dem Umweltverbund, also zu Fuß, mit dem ÖPNV und mit dem Rad zurücklegen. So jedenfalls sieht es das Leitbild Mobilität vor.

Radverkehrskonzept kommt erst 2022

25 Prozent sollen dabei mit dem Rad zurückgelegt werden. Wie das gelingen soll, wenn der Anteil des Fahrradverkehrs seit 1999, als das bislang gültige Radverkehrskonzept gebracht wurde, von damals fünf auf mittlerweile gerade einmal sieben Prozent gestiegen ist, ist den Kritikern schleierhaft. Gleichwohl begrüßt das Radwende-Bündnis den Beschluss zur Ausschreibung, so sein Sprecher Ralf Bindel.

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Das neue Konzept soll u.a. den Aufbau und die Fortschreibung eines Katasters für Radwege und Fahrradabstellanlagen auf Bochumer Stadtgebiet, die Bewertung bestehender Radverkehrsanlagen, eine Fokussierung auf die Cityradialen, Schulwegpläne und Fahrradparken an Schulen enthalten. Tatsächlich kann die Stadt derzeit etwa nur vage Angaben über die Länge der Radwege in Bochum machen. Von den 965 Straßenkilometern, die in der Verantwortung der Kommune liegen, seien es etwa zehn Prozent, so Amtsleiterin Susanne Düwel. Ein Vergleich zwischen dem Ist-Stand und dem Jahr 1999, als das noch gültige Radverkehrskonzept aufgelegt wurde, hinke etwas. „Die Kriterien für einen Radweg haben sich geändert.“ Einige Wege müssten nach heutigen Bestimmungen nicht mehr verpflichtend benutzt werden.

Radnetz sei noch voller Lücken

Kritik an den städtischen Plänen kommt aus dem Reihen der Fraktion FDP&Stadtgestalter. „Während die Landesregierung für NRW als erstes Flächenland ein Radgesetz vorbereitet sowie die Mittel für den Radverkehr Jahr für Jahr um mehrere Millionen steigert, bleibt der Radwegeausbau in Bochum ein Stückwerk“, sagt Ratsmitglied Dennis Rademacher. „Ein strategisch geplanter Ausbau erfolgt nicht.“

Erste Demo auf einer Pop-Up-Radspur

Nur acht Minuten benötigten die Radwende-Aktivisten nach eigener Aussagen, um den 500 Meter langen Pop-Up-Radweg zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Viktoriastraße einzurichten. Dazu wurden im Abstand von wenigen Metern rot-weiße Leitkegel zur Verkehrssicherung aufgestellt, die die zweispurige Straße in eine Auto- und eine Radspur teilten.

Anders als bei üblichen Demos mussten sich die etwa 250 Teilnehmer auch an die Regeln der Straßenverkehrsordnung halten und stoppten an den Ampeln. „Die Radwende wollte so zeigen, wie komfortabel und gewöhnlich ein Pop-Radweg sein kann“, heißt es in einer Mitteilung.

Das einzige Manko: „Die Strecke war zu kurz“, so Radwende-Aktivist Ralf Bindel. An der Kreuzung Südring/Viktoriastraße drehten die Teilnehmer auf der andere Seite des Südrings um und fuhren zum Hauptbahnhof zurück – allerdings dort nicht geschützt durch eine Pop-Up-Spur. „Den Unterschied konnten sie hautnah spüren“, so Bindel. Denn die durch die neue Straßenverkehrsordnung gültige Abstandsregel von 1,50 Meter für das Überholen durch Autos erhöhe das Sicherheitsgefühl nur, „wenn ohne markierte Trennung auch die Geschwindigkeit der Überholenden reduziert ist und Autofahrer aufmerksam sind“.

Die Radaktivisten vermissen derweil einen konkreten Zeitplan für die Maßnahmen. „Der Stadtrat kann sich darauf verlassen, dass die Radwende die Umsetzung der Projekte und die geplante Öffentlichkeitsbeteiligung genau beobachten wird“, sagt Birgit Agne von der Radwende. Amüsant sei der Auftrag an die Verwaltung, ein Konzept zur Schließung von Lücken im Radwegenetz zu erstellen. „Schließlich ist es kein Geheimnis, dass das Radwegenetz in Bochum fast nur aus Lücken besteht.“ Bedauert habe die Radwende, dass eigene Vorschläge wie der geforderte Bau eines kompletten Radwegs auf der Castroperstraße wurde abgelehnt wurden.

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Paket mit 18 Sofortmaßnahmen

Auch mehr Abstellplätze für Fahrräder  wie hier am Bahnhof in Wattenscheid sollen geschaffen werden.
Auch mehr Abstellplätze für Fahrräder wie hier am Bahnhof in Wattenscheid sollen geschaffen werden. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Der Vorwurf, es gehe beim Ausbau der Radinfrastruktur zu langsam voran, mag Ratsmitglied Martina Schnell (SPD) nicht ganz teilen. „Immerhin sind in dieser Legislaturperiode 17 Kilometer neue Radwege entstanden“, sagt die Vorsitzende des Mobilitätsausschusses. Aber auch sie und ihre Kollegen drücken aufs Tempo. Einstimmig hat der Ausschuss – sinnigerweise am Weltfahrradtag – ein ganzes Bündel an Maßnahmen beschlossen, um die Fahrradinfrastruktur – auch ohne neues Radverkehrskonzept – zu verbessern. Dabei geht es um 18 Sofortmaßnahmen; angefangen von neuen Radwegen wie auf der Tippelsberger Straße (Riemke) bis zu Gesprächen mit dem Regionalverband über einen Ausbau der Springorumtrasse.

„Uns ist bewusst, dass wir noch viel für den Radverkehr, aber auch für die Sicherheit der Fußgängerinnen und Fußgänger tun müssen,“ so Schnell. „Deshalb wollen wir auch schon jetzt, noch bevor das Radverkehrskonzept endlich fortgeschrieben wird, für uns wichtige Radverkehrsprojekte auf den Weg bringen.“

Netzwerk begrüßt Bürgerbeteiligung

Das Netzwerk bürgernahe Stadtentwicklung begrüßen derweil, dass Bürger stärker die Planung einbezogen werden sollen, so Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt. Allerdings müssten „die Kriterien für eine konstruktive Beteiligung vorher verbindlich festgelegt und bekannt gemacht werden“. Zu oft sei in der Vergangenheit diese Beteiligung zu spät ins Spiel gekommen oder haben sich Formate „für eine konstruktive Bürgerbeteiligung nicht als geeignet erwiesen“.

Die Springorumtrasse könnte nach Ansicht der Politik noch ausgebaut werden.
Die Springorumtrasse könnte nach Ansicht der Politik noch ausgebaut werden. © FUNKE Foto Services | Olaf Ziegler

Ausgebremst fühlt sich die Radwende bei ihren Vorschlägen. Dabei habe das zweite Experiment eines Pop-Up-Radwegs auf dem Ring, der am Samstag durchgeführt wurde (Infobox) gezeigt, „wie schnell und kostengünstig mehr Radmobilität in der Stadt möglich wäre“, so Radwende-Sprecher Ralf Bindel. Glaube man den Berliner Erfahrungen, koste die Einrichtung von Pop-Up-Radwegen etwa 50 Mal weniger als permanente Straßenumbauten – „von der Ökobilanz und den jahrelangen Planungszeiträumen ganz zu schweigen“. Und: „Ein Radverkehrskonzept, was bis heute erst sechs Jahre lang unbearbeitet blieb, jetzt nach dem aber in zwei Jahren kommen soll, wird erst in einigen Jahren nach der Umsetzung Erfolge zeigen“, meinte Christoph Bast von der Radwende. „Mit Pop-Up-Radwegen und Tempo 30 ließe sich dagegen innerhalb kürzester Zeit und ohne ressourcenintensiven Straßenbau selbst in der Autostadt Bochum mehr Radmobilität erzeugen.“

Bis 2015 zu wenig für Radverkehr getan

Ganz so einfach sei das nicht, sagt Amtsleiterin Susanne Düwel von der Stadt Bochum. „Pop-up-Radwege lassen sich in Berlin mit vielen großen breiten Straßen vielleicht ganz gut einrichten.“ In Bochum seien die Räume dafür an vielen Stellen zu eng. Sie verweist derweil auf die großen anstehenden Projekte: Demnächst beginne der Ausbau der Hattinger Straße, die Radwege auf beiden Seiten erhalten werde. Danach folge der Aus- und Teilausbau weiterer Cityradialen wie der Castroper Straße (2021), Alleestraße (2023) und der Königsallee. Sie räumt ein: „Es stimmt. Bis 2015 haben wir nicht so viel für den Radverkehr getan. Aber seit dem schon.“