Wattenscheid-Innenstadt. Ein Wattenscheider spielt jeden Abend für seine Nachbarn auf der Trompete – aus einer Dachluke. Er will in der Corona-Krise Lebensmut spenden.
Abend für Abend werden die Menschen rund um die Otto-Brenner-Straße in Wattenscheid-Mitte pünktlich um 19 Uhr mit virtuos gespielter Musik verzaubert. Seit einigen Wochen erfüllen Trompetenklänge die Atmosphäre und sind weithin zu hören. Doch der Musiker ist unsichtbar.
Corona: Unsichtbarer Trompeter erfreut Wattenscheider Nachbarn mit „Dachmusik“
Auf einem Dachboden spielt der frühere Friedhofsverwalter Hans-Jörg Masanek auf seiner Trompete. Die WAZ hat ihn dort oben besucht. Musik in der Coronazeit will Lebensmut spenden und positive Gedanken fördern.
Herr Masanek, seit drei Jahren genießen Sie als ehemaliger Verwalter des evangelischen Friedhofs den Ruhestand. Nun haben Sie sich einer neuen Aufgabe gestellt.
Masanek: Ja, wenn Sie so wollen. Seitdem das Coronavirus grassiert, kann ich meine – wohl von meinen Eltern vererbten – musikalischen Fähigkeiten nicht in meiner Kirchengemeinde in Velbert-Nierenhof einbringen. Daher möchte ich diese in dieser außergewöhnlichen Zeit zur Freude meiner nachbarschaftlichen Mitmenschen einsetzen.
Wie bringen Sie sich ein?
Jeden Abend – und das seit sieben Wochen – beginne ich um 19 Uhr während des Corona-Glockengeläuts der Kirchen mein Konzert. Ich spiele dann regelmäßig sechs Lieder. Unsichtbar vom Dachboden aus, immer abwechselnd zwei Strophen zur Straße und zwei Strophen zur Hofseite hin. Mit dem ersten Glockenschlag fange ich an.
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Trompete zu spielen ist schon anstrengend, oder?
Nein, nicht für den, der ausreichend Übung besitzt und für 15 Minuten geht das leicht. Obwohl, nach einigen Strophen muss ich wie üblich das Kondenswasser in der Trompete ablassen. Dann unterbreche ich und die Nachbarn nutzen immer wieder diese Pause zum Applaus.
Erhalten Sie viel Zuspruch für Ihre Aktion?
Ja, ein Nachbar freut sich, dass ich immer Bonhoeffers „Von guten Mächten“ spiele. Auf dem Hof stehen Nachbarn und viele verweilen am geöffneten Fenster und hören mir zu.
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Hat sich Ihr Engagement bereits herumgesprochen?
Offensichtlich. Erst kürzlich will ich die Dachluke nach der Musik schließen, da höre ich eine Stimme meinen Namen rufen. Normalerweise zeige ich mich nicht am Dachbodenfenster, aber ich wollte doch wissen, wer da ruft. Unten auf der Straße stand eine ehemalige Kollegin mit ihrer Freundin, die auf der Wattenscheider Heide wohnt. Auch auf Facebook werden die Tonaufnahmen meiner kurzen Abendmusik geteilt.
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Wie sind Sie auf die Idee gekommen, wie ein Turmwächter die Trompete zu spielen?
Berichte aus Südeuropa haben mich dazu gebracht. Im krisengeschüttelten Italien hat sich eine feste Verabredung etabliert. Jeden Abend um 18 Uhr treffen sich die Menschen auf ihren Balkonen, um ein paar Worte mit den Nachbarn zu wechseln und eben zusammen Musik zu machen. Ich habe mich entschieden vom Dachboden meines Wohnhauses täglich Lieder des Gottvertrauens zu spielen.
Erläutern Sie bitte, was Sie unter „Lieder des Gottvertrauens“ verstehen?
Turmbläser
Noch heute gibt es Turmbläser. Das sind Trompeter, die zu bestimmten Zeiten Choräle in alle vier Himmelsrichtungen spielen. Dieser Brauch wurde zum Beispiel in Hamburg während der Reformation eingeführt und ist bis heute dort erhalten.
Der Trompeter spielt jeweils eine Strophe aus einem geöffneten Fenster, beginnend bei dem Ostfenster, und dann weiter im Uhrzeigersinn.
Das sind Lieder, die in dieser Krisenzeit Trost und Zuversicht vermitteln. Dazu gehören beispielsweise „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ oder „Amazing Grace“. Die Musik hilft Menschen, Mut zu fassen und sich an ihr Gottvertrauen zu erinnern.
Ist das für Sie eine Form der Verkündigung?
Ja, ich sehe das so. Gott zu vertrauen ist oft verloren gegangen. Viele erinnern sich, wenn sie die Musik hören. Da sind dann plötzlich auch die Texte wieder präsent.
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Was war Ihre Motivation, gerade die Trompete auszuwählen?
Seit früher Jugend spiele ich Trompete, auch Violine. Violine allerdings nicht mehr aktiv. Mein Vater war über 48 Jahre Posaunenchorleiter in Wattenscheid, von ihm habe ich die Grundlagen erlernt. Vertiefen durfte ich die Kenntnisse während meines Lehramts-Studiums. Im Fach Musik bekam ich sechs Semester Trompetenunterricht an der Folkwangschule in Essen. Viele Jahrzehnte leitete ich verschiedene Chöre, zuletzt bis 2019 den Gospelchor meiner Gemeinde in Nierenhof.
Sind Sie in der Evangelischen Kirchengemeinde in Nierenhof engagiert?
Ja, das ist eine sehr lebendige Gemeinde mit vielfältigen musikalischen Möglichkeiten. Mittlerweile bin ich dort seit 17 Jahren zu Hause und fühle mich dort geistlich bestens versorgt. In einem der vielen Hauskreise treffen wir uns zusätzlich um zu singen, zu beten und über Gottes Wort zu sprechen.
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