Bochum. Täglich melden sich bis zu 50 Anrufer bei der Bochumer Telefonseelsorge. Wegen Corona drehen sich die Sorgen vermehrt um Krankheit und Isolation.

Der Griff zum Hörer – er hat für viele in Zeiten der Kontaktsperren ein Revival erlebt. Wer Oma, Papa oder Freunde nicht besuchen darf, der hält derzeit häufiger einmal ein nettes Pläuschchen am Telefon.

Für Ludger Storch jedoch gehört der Hörer bereits seit Jahren zum täglichen Arbeitsmittel: Er ist Leiter der Telefonseelsorge in Bochum. Dabei kümmern sich Storch und sein Team seit Jahren um diejenigen, die jemanden zum Sprechen brauchen, Leid von der Seele reden möchten, Kontakt suchen.

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Corona verändert die Arbeit der Telefonseelsorge Bochum

„Corona hat auch die Arbeit der Telefonseelsorge verändert“, berichtet der 55-Jährige. Mobbing am Arbeitsplatz, brüchige Beziehungen, krisenhafte Familienbeziehungen, finanzielle Sorgen oder psychische Krankheiten – zu diesen häufigen Gesprächsthemen haben sich neue gesellt. „Aktuell sprechen die Anrufer vermehrt über Isolation und Einsamkeit, aber auch über die Angst sich selbst oder andere zu infizieren“, sagt Storch, der das kostenlose und anonyme Angebot seit sechs Jahren leitet.

Team aus 27 Ehrenamtlichen unterstützt die Angestellten

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Doch wie hilft das Team aus 27 Ehrenamtlichen und drei Hauptamtlichen, die sich im Schichtdienst abwechseln, einem Ehemann, der aktuell seine Frau nicht im Heim besuchen darf? Einer Mutter, die im Home-Office eine Konfliktsituation nach der anderen erlebt oder einem psychisch Erkrankten, der die so notwendige Hilfe in einer Tagesgruppe aktuell nicht findet?

„In erster Linie hören wir zu“, sagt Storch. Man rege an, die Ängste genauer zu beschreiben, einzuordnen und sich zu fragen: Was hat mir früher geholfen? Im Schnitt dauern die Telefonate 20 bis 25 Minuten, manche Anrufer melden sich auch mehrmals.

Für Menschen mit Suizidgedanken fehlen Therapie-Angebote

Angebot der Telefonseelsorge gibt es seit 1971

Die Telefonseelsorge existiert seit 1971 in Bochum und ist eine Einrichtung der evangelischen und der katholischen Kirche.

Zum Einzugsbereich gehören neben Bochum auch Wattenscheid, Herne, Wanne- Eickel, Hattingen und Witten.

Die Telefonseelsorge ist erreichbar unter der Nummer 0800/ 111 01 11 und 0800/ 111 02 22.

Auf der Website www.telefonseelsorge-bochum.de finden sich Chat- und Mailangebote.

Eine bestimmte Gruppe bereitet Storch große Sorge: Die Menschen mit Suizidgedanken. „Viele haben sich in Therapien eine Art Hilfekoffer erarbeitet, der jetzt nicht mehr greift“, sagt Storch. Hier steht die Frage: „Was hält dich am Leben, was sind deine Ressourcen?“ im Mittelpunkt. In manchen Fällen erfolgt dann auch der Rat, sich in eine Psychiatrie einweisen zu lassen.

Informiert die Telefonseelsorge in Notfällen auch die Polizei? „Das ist die absolute Ausnahme und geschieht nur, wenn eine Gewalttat angedroht wird. Wir schreiben Anonymität groß“, stellt Storch klar. Die Nummer sei für die Telefonseelsorge im Display nicht ersichtlich, eine Rückverfolgung nur durch richterlichen Beschluss möglich.

Seelsorge bietet auch Chats - Jüngere nutzten dieses Angebot häufig

Es geht auch noch anonymer: Im Chat-Angebot können Hilfesuchende sich schriftlich an die Seelsorger wenden. „Das wird aktuell viel häufiger genutzt, besonders von jungen Menschen“, weiß der Leiter. Noch eine weitere corona-bedingte Veränderung ist ihm aufgefallen: „Es rufen jetzt viele Menschen an, und bieten ihre Hilfe als Telefonseelsorger an“, sagt Storch. Doch aktuell muss er passen: „Unsere Ehrenamtlichen haben eine einjährige Ausbildung mit wöchentlichen Treffen durchlaufen. Das bieten wir aktuell aber nicht an.“

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Die besondere Qualifizierung zahle sich in den aktuellen Krisenzeiten aus. „Wir haben nachmittags ein Telefon mehr als sonst besetzt, um dem Telefonaufkommen gerecht zu werden“, so Storch. Warum die Telefonseelsorger ihre Arbeit leisten, hat viele Gründe: „Man merkt: ,Gut, dass wir da sind’, wenn Menschen nach dem Telefonat Zuversicht gewinnen oder einen Plan haben, wie es weitergeht“, sagt Storch.

Hoffnung schenken – auch in Zeiten von Corona

In seiner Zeit als Telefonseelsorger hat ihn etwa die Geschichte einer 14-jährigen Anruferin besonders bewegt: „Sie rief an, weil sie von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde. Über mehrere Telefonate hinweg, konnten wir sie schließlich bestärken, eine Kinderschutzeinrichtung aufzusuchen“, erinnert sich Storch. Beispiele wie diese schenken Hoffnung - auch in Zeiten von Corona.

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