Bochum. Zum ersten Mal übernimmt in Bochum ein Unternehmen die Betreuung von Flüchtlingen. Wohlfahrtsorganisationen und Ehrenamtliche sind enttäuscht.
Zum ersten Mal übernimmt in Bochum ein Unternehmen die Betreuung von Flüchtlingen. Vom 1. März an wird die European Homecare GmbH aus Essen an der Girondelle 6 Anlaufstation für Geflüchtete sein und ihre soziale Integration begleiten. Die seit vier Jahren dort in einer Kooperation tätigen Wohlfahrtsorganisationen Caritas und Diakonie zeigen sich ebenso wie das ehrenamtliche Netzwerk Steinkuhl enttäuscht und erschrocken über den Ausgang des Vergabeverfahrens.
Es herrscht Abschiedsstimmung im Erdgeschoss des Mehrfamilienhauses, in dem allein etwa 100 der betreuten Flüchtlinge leben. Geflüchtete, Haupt- und Ehrenamtliche treffen sich noch einmal. Am Donnerstag werden die Räume der Stadt übergeben, vom 1. März an übernimmt European Care die Arbeit. Viele schütteln den Kopf. Auch Kay Peter Germerodt vom Netzwerk Steinkuhl, das sich seit 2015 stark in der Integration von Flüchtlingen engagiert.
Zweifel an Ausschreibungskriterien
„Integration ist vor allem Beziehungsarbeit“, sagt Germerodt. Und die werde durch den Betreiberwechsel nun nachhaltig gestört. Das Netzwerk werde zwar auch den Kontakt zum neuen Betreiber suchen. Aber die Zweifel an der Richtigkeit der Vergabe und an den Ausschreibungskriterien sind groß. „Große Teile unserer ehrenamtlichen Bemühungen der letzten vier Jahre werden mit dem neuen Betreuungsunternehmen praktisch zunichte gemacht und wir werden weit zurückgeworfen“, heißt es in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD).
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Eine Einschätzung, die die Evangelische Kirchengemeinde Querenburg teilt. Pfarrer Christian Zimmer fordert den Oberbürgermeister in einem Schreiben auf, die „Fehlentwicklung“, wie es heißt, zu revidieren. „Wir befürchten, dass mit der einseitig dominanten Zielrichtung der Gewinnorientierung gewerbliche Anbieter die sozialräumliche Kompetenz von Akteuren der Wohlfahrtspflege massiv untergraben wird und im Nachhinein durch staatliche Gelder im Rahmen integrierter Stadtentwicklungskonzept wieder aufgefangen werden muss.“ Ein Eigentor, sozusagen.
Dezernentin lobt Arbeit von Caritas und Diakonie
Wobei die Verwaltung offenbar um der Ausschreibung nicht herumgekommen ist. „Wir hatten gar keine andere Wahl“, sagt Sozialdezernentin Britta Anger, die die Arbeit von Caritas und Diakonie in den höchsten Tönen lobt und zu der Vergabe sagt: „Ich bedauere das Ergebnis.“
Aber: Nachdem 2015/16 mit dem starken Anwachsen der Flüchtlingszahlen zunächst die Wohlfahrtsorganisationen mit der Betreuung beauftragt wurden, wuchs bald die Kritik an dieser freihändigen Vergabe. Das Rechnungsprüfungsamt stellte 2018 Versäumnisse und Fehler fest, der Rat beschloss die Notwendigkeit, die Flüchtlingsbetreuung auszuschreiben. „Und dann entscheiden allein die Excel-Tabelle und ein Auswertungsprogramm“, kritisiert Caritas-Direktor Hans-Werner Wolf.
Kompetenzen vor Ort, gewachsenes Vertrauen und Beziehungen und anderes spielten keine Rolle. Zwar gebe es qualitative Kriterien. „Aber es sind die falschen,“ bemängelt Kay Peter Germerodt vom Netzwerk Steinkuhl. Diakonie-Geschäftsführer Jens Fritsch bezweifelt gar grundsätzlich, ob soziale Dienstleistungen ausgeschrieben werden sollten.