Bochum. Eine NRW-weite Studie liefert erstmals Zahlen über die Hebammenversorgung. Die Lage ist besorgniserregend.
Alarmierende Ergebnisse hat eine Studie der Hochschule für Gesundheit (HSG) zur Hebammenversorgung in Nordrhein-Westfalen zu Tage gebracht: Viele Hebammen in den Krankenhäusern sind überlastet, viele freiberufliche Hebammen so ausgelastet, dass die Suche von werdenden Müttern nach vorgeburtlicher Beratung zum Teil schwierig ist. Professorin Rainhild Schäfers, einer der beiden Studien-Autorinnen, spricht von „deutlichen Lücken in der Versorgung“.
So wurden 1,1 Prozent der 1783 befragten Mütter mit Wehen im Kreißsaal abgewiesen. Statistisch betrachtet ein kleiner Wert. „Aber man möchte nicht in der Haut dieser Frauen stecken“, hieß es am Mittwoch bei der Vorstellung der Studienergebnisse an der HSG in Querenburg. Ganz abgesehen davon, dass bei 173.000 Geburten 2018 im geburtenstärksten Bundesland der Republik fast 1750 Frauen in NRW betroffen gewesen sein könnten. Schäfers: „Jeder Einzelfall ist dramatisch.“
Versorgung ist nicht barrierefrei
Ein weiteres Ergebnis: „Der Zugang zur Versorgung ist nicht barrierefrei und kann für Frauen überfordernd sein. Sie mussten durchschnittlich vier Hebammen anrufen, um eine für ihre Betreuung im Wochenbett zu finden.“ 7,8 Prozent der Frauen riefen sogar mehr als zehn Hebammen an.
„Es scheint ein Vermittlungsproblem zu geben“, sagt Frank Stollmann, Ministerialrat im NRW-Gesundheitsministerium. Das Land werde daher die Einrichtung einer digitalen Plattform zur passgenauen und wohnortnahen Vermittlung unterstützen, so der gebürtige Bochumer. „Das ist ein wichtiger Ansatzpunkt“, sagt Professorin Nicola Bauer, Leiterin der Studienbereichs Hebammenwirtschaft an der HSG und Autorin der zweiten Studie. Dabei lohnt sich auch ein Blick aus dem ganzen Land nach Bochum. Hier gibt es nämlich seit dem vergangenen Jahr schon eine beim Arbeitersamariterbund (ASB) angesiedelte Hebammenzentrale.
Hebammen und Mütter befragt
Befragt haben die Bochumer Wissenschaftlerinnen nicht nur Mütter, um deren Erfahrung bei der Betreuung vor, während und nach der Geburt zu ermitteln. Auch 1924 Hebammen wurden nach ihrer Einschätzung über den beruflichen Alltag befragt. Damit liegen erstmals verlässliche Daten für die Versorgung rund um die Geburt für ganz NRW vor.
Das Ergebnis: Das System ist an der Belastungsgrenze. Kliniken, nur noch 139 in ganz NRW haben eine Geburtsstation und damit 16 weniger als noch 2016, aber auch der ambulante Bereich sind „absolut an die Grenzen ihrer Versorgungskapazitäten gestoßen“, so das Fazit der beiden Studien. 43,1 Prozent der in einem Krankenhaus tätigen Hebammen haben eine Gefahrenanzeige wegen Arbeitsüberlastung gemacht. Ein Viertel spricht von vorübergehender Schließung ihres Kreißsaals. „Hauptgründe dafür sind fehlendes Hebammenpersonal oder fehlende Räume“, so Nicola Bauer. Bei den freiberuflich Tätigen ist fast jede Zweite in den nächsten sechs Monaten ausgelastet. Die Mehrheit lehnt jede Woche mehrmals Anfragen für Wochenbettbetreuungen ab.
Genügend Studienplätze schaffen
Sichergestellt werden müsse daher, so Ministeraldiregent Stollmann, dass für die vom kommenden Jahr ausschließlich über ein Hochschulstudium mögliche Hebammenausbildung genügend Studienplätze zur Verfügung stehen: „Wir brauchen genügend qualifizierten Nachwuchs.“
Schneller Weg in den Kreißsaal
Die Studie ist auch zu positiven Erkenntnissen gekommen: So konnten fast 87 Prozent aller Frauen an dem Ort gebären, den sie bereits in der Schwangerschaft gewählt haben. Die Mütter, die im Krankenhaus entbunden haben, benötigten im Durchschnitt 23,8 Minuten für den Weg zur Klinik. Das ist deutlich unter dem bundesweit festgelegten Richtwert von knapp 40 Minuten.
Unter den 30 geburtshilflichen Abteilungen in Krankenhäusern im Regierungsbezirk Arnsberg sind zwei in Bochum, nämlich die Kreißsäle in der Augusta-Kranken-Anstalt und im St.-Elisabeth-Hospital.
Die Hochschule Bochum will dazu ihren Beitrag leisten, so Nicola Bauer. Der Modellstudiengang der HSG wird voraussichtlich vom Wintersemester 2021/22 an zum regulären Bachelor-Studiengang, die Zahl der Studienplätze auf 80 erhöht werden. Außerdem soll von 2020 an eine Nachqualifizierung für Hebammen möglich sein und von 2022 an ein Master-Studiengang angeboten werden.