Bochum. Premiere am Schauspielhaus: „Die Geschichte vom Roboterjungen“ ist perfekt gemacht, doch gibt das Stück der kindlichen Fantasie zu wenig Raum.
Langen Applaus für tolle Schauspieler und einen ungewöhnlichen Hauptdarsteller gab es im ausverkauften Schauspielhaus Bochum, wo „Die unglaubliche Geschichte vom kleinen Roboterjungen“ Premiere feierte – eine moderne Variante der Geschichte von Pinocchio, der lebendig gewordenen Puppe.
Neonheller Bühnenglanz
Das Familienstück 2019 war mit Spannung erwartet worden: Was würde wohl diesmal geboten?, fragten sich viele Theaterfreunde, nachdem im letzten Jahr die als Kinderstück ausgeflaggte Performance „Alle Jahre wieder“ durchweg als zu abstrakt und zu wenig kindgerecht empfunden worden war. Der „Roboterjunge“ schlägt einen anderen Weg ein, weil hier tatsächlich, jedenfalls in Ansätzen, wieder eine Geschichte erzählt wird. Allerdings kommt, wer Mitsinglieder, Verfolgungsjagden und märchenhafte Verspieltheit erwartet, auch diesmal nicht zum Zuge.
Aus Kunstfaser statt aus Holz
Stattdessen ist eine aufwändige Inszenierung zu bewundern, die neonhellen Bühnenglanz, aber wenig Kuscheligkeit verströmt.
Spieltermine
„Die unglaubliche Geschichte vom kleinen Roboterjungen“, Laufzeit 80 Minuten ohne Pause. Aufführungen am 24. November, 12 und 16 Uhr, sowie in weiteren Nachmittagsvorstellungen am 1., 15., 22., 25. und 29. Dezember.
Darüber hinaus gibt es Aufführungstermine für Schulklassen, Info auf www.schauspielhausbochum.de. Ticket-Hotline 0234/3333-5555.
Das liegt am Thema, denn das ist ernst. Pinocchio, entstanden 1881, war seinerzeit ein Wesen aus Holz. Doch aus welchem Material würde eine solche Puppe heute wohl bestehen? Das war die Frage, die sich Gast-Regisseurin Sue Buckmaster stellte. Ihre Antwort: „Heute wäre die Puppe ein Produkt der Neurowissenschaften.“ Und so entwickelte die britische Künstlerin ihre Story von einem im Labor zusammengebauten Roboter, der eigentlich nur als Testobjekt der Forschung gedacht war, aber plötzlich zu einem Jungen mit Gefühlen und Träumen wird. Und der die anfangs streng rational gepeilten Erfinder mit seiner Niedlichkeit und seinem Wunsch nach Nähe betört.
Blick ins Laboratorium
Klar also, dass das „künstliche Objekt“ am Ende doch nicht, wie zunächst geplant, wieder abgeschaltet wird, sondern weiter existieren darf.
Bis es soweit ist, nehmen die Zuschauer live an einem Experiment à la Dr. Frankenstein teil: Die Forscher erschaffen ein Gehirn, das sie dem Roboter einsetzen, worauf der zum Leben erwacht. Das wird auf Joanna Scotchers Bühne, die einem steril-futuristischen Laboratorium nachempfunden ist, genussvoll ausgespielt.
Starkes Ensemble
Das Ensemble um die zentrale Figur der Dr. Kalu (Mercy Dorcas Otieno) steigt mit Eifer, Situationskomik und hoher Agilität in die Aktion mit dem Roboter ein, der als aufwändig gestaltete Puppe von den Figurenspielern Franziska Dittrich und Markus Schabbing geführt wird.
Den Roboterjungen, mit dem sich zumal die Kleinen sofort identifizieren können, gibt es also wirklich. Er ist der Star des Abends, denn die technoide Puppe agiert mit dem Ensemble wie ein gleichberechtigter „Schauspieler“ mit individueller Ausdruckskraft.
Publikum entscheidet: ja oder nein?
Das hat man in der gezeigten Perfektion selten gesehen, und natürlich fliegen dem putzigen Homunkulus die Herzen zu. Als er, weil das Experiment quasi fehlgeschlagen ist, ausgeknipst werden soll, wenden sich die „Wissenschaftler“ direkt ans Bochumer Schauspielhaus-Publikum, um es entscheiden zu lassen, ob ja oder nein. Die Antwort ist klar: natürlich nicht!
Träume eines Roboters
Alles gut also? Man muss sagen: nur bedingt. Denn die Story ist sehr vorhersehbar, und eigentlich ist es auch gar keine richtige Geschichte. Das Publikum wohnt einem Laborexperiment bei, es kann dem Roboter beim „Träumen“ zuschauen und den Wissenschaftlern beim Rappen, und es wird mit Spritzen, Pipetten und dem Parietallappen (=Abschnitt des Großhirns) konfrontiert, wobei sich immer wieder grundlegende ethische und philosophische Fragen dazwischen schieben: Kann Künstliche Intelligenz (KI) überhaupt menschlich sein? Welche Rechte, welche Grenzen gibt es für die Wissenschaft? Was tun mit einem Geschöpf, das „außer Kontrolle gerät“.
Einstiegsalter ab 6 Jahren
Für kleine Kinder ist das definitiv zu hoch, selbst das empfohlene Einstiegsalter von 6 Jahren scheint noch zu niedrig angesetzt.
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Der hohe Schauwert, das ausgezeichnete Spiel der Darsteller und Figurenspieler, die sehenswerte Lichtregie, die perfekte Kulisse – all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass in „Die unglaubliche Geschichte vom kleinen Roboterjungen“ einem zu wenig Raum gegeben wird: der kindlichen Fantasie. Sie wird durch die Aufführung nicht auf die freie Reise geschickt, sondern fest an die Hand genommen. Letztlich träumen hier die Erwachsenen den Robotertraum für die Kinder gleich mit.