Bochum. Wer blind oder sehbehindert ist, ist im Alltag stark eingeschränkt. Wie sehr – das zeigen die Geschichten von Bernhard Schröder und Elfi Zirkel.
Bernhard Schröder überquert eine Straße in der Wattenscheider Innenstadt. Er ist auf dem Weg in den Supermarkt, zum Einkaufen. So weit, so normal – für die meisten. Doch im Alltag des 64-Jährigen ist vieles anders. Er ist blind, kann seit einem Gehirntumor vor 32 Jahren nichts mehr sehen. „Besonders der Anfang war hart“, sagt der Rentner und blickt zurück.
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Da hätte sich Bernhard Schröder beinahe selbst aufgegeben, ein halbes Jahr verzweifelte er an der Situation. Bis zu einem Schlüsselerlebnis. Eines Tages nimmt der Mann, der bis zur Krankheit in einem Spielwarengeschäft gearbeitet hat, eine Lokomotive zur Hand. Er baut sie auseinander und wieder zusammen. „Da habe ich gemerkt, es klappt doch noch.“
Hürden gibt es nach wie vor viele
Der damals junge Mann tritt auf Drängen seiner Mutter in den Blinden- und Sehbehindertenverein ein. Hier lernt er, seinen Alltag zu strukturieren. Er spricht mit anderen Betroffenen, besucht eine Reha. Bernhard Schröder lernt Alltagshelfer kennen. Nicht nur den Blindenstock, sondern ein Diktiergerät, eine sprechende Waage, einen Füllstandanzeiger, der piepst, wenn die Tasse voll ist, und irgendwann einen Computer für Blinde, ohne den es heute nicht mehr gehen würde. Der Wattenscheider bleibt im Blinden- und Sehbehindertenverein, bis heute. Er hilft denen, die in der gleichen Situation sind.
Beratung für Blinde und Sehbehinderte
Die Blindenvereine Bochum und Wattenscheid wurden 2018 zusammengelegt, der neue Sitz befindet sich an der Alsenstraße im Haus der Begegnung (Bochum-Mitte).
Trotzdem bleibt die Beratungsstelle an der Voedestraße 5 in Wattenscheid erhalten, sie gehört zur Bürgerhilfe Bochum, die Elfi Zirkel 2010 gegründet hat.
Die Beratungsstelle ist dienstags und donnerstags von 10 bis 12.30 Uhr geöffnet, andere Termine nach Absprache sind möglich. Telefon: 02327/ 602 87 40, E-Mail: buergerhilfe.bochum@t-online.de; Homepage: hier
Denn Hürden gibt es nach wie vor unglaublich viele, das weiß auch Elfi Zirkel, Vorsitzende des Vereins, der mittlerweile Bürgerhilfe Bochum heißt und zertifizierte Beratungsstelle ist. „Die Digitalisierung in den vergangenen Jahren hat uns sehr geholfen. Durch neue Technik, vor allem durch Smartphones, die per Spracherkennung bedient werden können.“ Gleichzeitig werde es durch neue Technik aber wieder schwieriger. Zirkel nennt ein Beispiel: „Eine blinde Person kann nicht mal eben Geld am Bankautomaten abheben, weil das am Schalter nicht mehr möglich ist. Sie ist auf die Hilfe anderer angewiesen.“
Viele Blinde und Sehbehinderte sind alleinstehend
Auf andere angewiesen sein, genau das sei nicht immer leicht. Manche Menschen, die kaum oder gar nicht sehen können, hätten Angehörige, viele aber seien alleine. Sie müssen Fremde um Hilfe fragen – oder eine Begleitperson dabei haben. Das ist auf Dauer teuer. „An organisierten Ausflügen oder Urlauben können Blinde nicht alleine teilnehmen. Sie brauchen oft eine Begleitung, die kostet. Viele Blinde kalkulieren direkt mit dem doppelten Preis“, weiß Elfi Zirkel.
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Um diese Mehrausgaben zu kompensieren bekommen Blinde und hochgradig Sehbehinderte Geld von Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). In Bochum waren es im Jahr 2018 1163 Menschen. Bernhard Schröder bekommt 473 Euro, blinde Erwachsene unter 60 Jahren 739,91 Euro. „Durch die Sinnesschädigung fallen häufig erhebliche Kosten an, die nur zum Teil von den Krankenkassen abgedeckt werden“, sagt LWL-Sozialdezernent Matthias Münning. Das weiß auch Elfi Zirkel: „Für Blinde ist eigentlich alles teurer als für Sehende. Sei es das Brettspiel, das 50 statt 10 Euro oder der Ball, der 70 statt 5 Euro kostet. Die Produktionsmenge ist viel kleiner, der Preis deshalb höher.“
„Jeder Blinde würde das Geld auf den Tisch legen, wenn er dafür sehen könnte“
Neben diesen Freizeitgegenständen entstehen Kosten für die Einrichtung von Handy oder Computer extra für Sehbehinderte oder für Alltagsgegenstände, die die Menschen brauchen, um ein Leben zu führen, das dem eines Sehenden zumindest ähnlich ist. „Viele mögen sagen, dass das Blindengeld sehr viel ist. Ich weiß aber, dass jeder das Geld direkt auf den Tisch legen würde, wenn er dafür wieder sehen könnte,“ weiß Elfi Zirkel aus eigener Erfahrung.
Die 64-Jährige leidet unter der Krankheit Albinismus. Von Geburt an sieht sie nur fünf Prozent von dem, was Menschen ohne Augenerkrankung sehen. Sie gilt als hochgradig sehbehindert, bekommt pro Monat 70 Euro vom LWL. Zwar hat sie einen Mann, doch auch der ist nicht rund um die Uhr da, um sie zu unterstützen. „Er hat früher acht Stunden am Tag gearbeitet“, erzählt die 64-Jährige. Sie hat vier Kinder großgezogen, ist mittlerweile fünffache Oma. Schon als junge Frau war sie selbstständig, brauchte aber auch immer wieder Unterstützung – so wie viele andere Blinde in Bochum.
Hilfe von Betroffenen für Betroffene
Elfi Zirkels Geschichte ist anders als die von Bernhard Schröder – und gleichzeitig doch so ähnlich. Könnten sich beide etwas wünschen, wäre es wohl, sehen zu können. Doch die 64-Jährigen machen das Beste aus ihrer Situation und helfen anderen – beide schon seit Jahrzehnten.