Bochum. Ein neuer Fördertopf ermöglicht es den Jobcentern, Langzeitarbeitslosigkeit dauerhaft zu bekämpfen. Erste Erfolge stellen sich schon ein.
Morgens gehört Ralf Zemke zu den Ersten am Arbeitsplatz. Kein Problem für den 60-Jährigen. „Ich habe einen Hund. Da muss ich immer früh raus.“ Fünf Jahre lang war das seine einzige Verpflichtung bei Tagesanbruch. Bis er eine neue Chance im Berufsleben bekommen hat.
Seit März arbeitet der gelernte Schreiner als Gebäudereiniger - erst als Praktikant und seit Mai als festangestellter Mitarbeiter der Gebäudereinigung Zierdt. „Für mich ist das wie ein Sechser im Lotto“, sagt Ralf Zemke. „Ich habe wieder eine Aufgabe und werde gebraucht.“
Neue Fördermöglichkeit
Er ist einer von mittlerweile 440 Bochumern, die nach jahrelanger Arbeitslosigkeit wieder eine berufliche Perspektive haben; viele davon sogar auf dem ersten Arbeitsmarkt. Das im Dezember verabschiedete Teilhabechancengesetz finanziert Arbeitgebern, die Langzeitarbeitslose einstellen, zwischen zwei und fünf Jahren einen großen Teil der Lohnkosten.
Ein Instrument mit großer Wirkung. „Wir müssen gar keine Werbung mehr machen“, sagt Anika Akremi vom Jobcenter Bochum. „Das Programm ist ein Selbstläufer.“ So gibt es momentan noch allein 849 Anfragen von Firmen, die Langzeitarbeitslose für fünf Jahre (§16i SGBII) einstellen wollen. Dabei ist die finanzielle Seite, 100 Prozent der Lohnkostenvorteil trägt das Jobcenter im ersten Jahr, immer noch 70 Prozent im fünften Jahr, mitunter gar nicht der ausschlaggebende Punkt. „Das Geld ist zweitrangig“, sagt Klaus Volkenhoff, Geschäftsführer des Hauswirtschaftsdienstes „Die Bochumer“. „Es kommt auf die Person an. Was nützt mir jemand, den ich zwar finanziert bekomme, mit dem unsere Kunden aber nicht zufrieden sind.“
Persönlicher Eindruck ist wichtig
Mehrere Millionen Euro im Fördertopf
3,27 Millionen Euro hat das Jobcenter Bochum bislang in diesem Jahr aus dem Topf des Teilhabechancengesetzes ausgegeben. Weitere 1,52 Millionen Euro sind durch den sogenannten Passiv-Aktiv-Tausch dazu gekommen.
Dabei handelt es sich um Gelder, die bislang als Leistungen an Hartz IV-Bezieher ausgezahlt wurden. Durch die eingesparten Leistungen kann der Fördertopf für Langzeitarbeitslose genau um diesen eingesparten Betrag erhöht werden.
„Ich hoffe, dass das auch im nächsten Jahr wieder der Fall ist“, sagt Jobcenter-Chef Frank Böttcher. Er geht davon aus, dass für 2019 insgesamt 1,6 bis 1,8 Millionen Euro Transferleistungen umgeschichtet werden können.
Gutes Personal ist schwer zu kriegen in diesen Zeiten. Und eine „Rosine“’, wie Volkenhoff sagt, erst recht. So eine Rosine ist für ihn Eva Böhm. Auch die 37-Jährige hat schwere Zeiten hinter sich. Nach sechseinhalb Jahren ohne feste Arbeit hat sie nun über das neue Programm eine feste Stelle gefunden.
„Damit habe ich schon gar nicht mehr gerechnet“, sagt sie. Zu oft hat es in der Vergangenheit Absagen gegeben. Ihr größter „Makel“: die fehlende Ausbildung. Tatsächlich kommt es auf die in der Haushaltshilfe nicht primär an.
„Es geht um Empathie, darum, dass sich unseren zumeist älteren Kunden mit unseren Mitarbeitern wohlfühlen“, erklärt Klaus Volkenhoff. „Und Haushalt muss jede Frau können“, ergänzt Eva Böhm.
Von 90 auf 300 ist die Zahl der Kunden binnen zwölf Monaten bei dem Hauswirtschaftsdienst gestiegen. „Wir wachsen weiter. Und wir suchen weiter Mitarbeiter“, so Volkenhoff, der ebenso wie Gebäudereiniger Michael Zierdt die Anstellung von Langzeitarbeitslosen nur empfehlen kann. Beide haben überwiegend positive Erfahrungen damit gemacht. Zumal es die Chance gibt, sich über Praktika, Arbeitsgelegenheiten oder sogenannte geschützte Beschäftigungen erst einmal näher kennen zu lernen.
Persönliches Gespräch ersetzt Lebenslauf
Und beide können Jobs in unterschiedlichen Umfänge und zu unterschiedlichen Zeiten anbieten. So bekommen auch jene, die eher Schwierigkeiten mit dem Frühaufstehen haben, eine Chance. Überhaupt rät Klaus Volkenhoff bei der Mitarbeitersuche zu einer unorthodoxen Herangehensweise. „Man sollte die Hürde für die Arbeitnehmer nicht so hoch setzen.“ Will sagen: Ein persönliches Gespräch ersetzt den schriftlichen Lebenslauf. Tatsächlich sollte der Einstieg ins Berufsleben so niederschwellig wie möglich sein, sagen auch die Arbeitsmarktexperten.
Neun Monate nach Beginn des Programms ist Jobcenter-Geschäftsführer Frank Böttcher voll des Lobes über das neue Instrumentarium. „Das ist wirklich mal eine Erfolgsgeschichte.“ Positiv überrascht habe ihn vor allem, dass so viele gewinnorientierte Unternehmen dabei sind. Zwei Drittel der bereits vermittelten Stellen haben private Firmen angeboten, nur ein Drittel sind Jobs bei Trägern. Er hätte es eher umgekehrt erwartet.
440 Anträge bewilligt
Bewilligt wurden bislang 371 Anträge nach Paragraf 16i (Förderung über fünf Jahre) und 69 nach Paragraf 16e (zwei Jahre) des Sozialgesetzbuches. Nicht minder überrascht sind die Experten über die niedrige Abbruchquote. „Es gab bislang nur zehn Fälle“, so Jobcenter-Chef Böttcher. „Und darunter ist noch ein Fall, bei dem unserer früherer Kunde eine ungeförderte Arbeitsstelle gefunden hat.“
Auch das ist ein Grund für einen Unternehmer wie Michael Zierdt, noch mehr auf Langzeitarbeitslose zu setzen. Sechs der 16 Stellen in seiner Firma sind bereits über den Sozialen Arbeitsmarkt zustande gekommen. Und mit allen ist er hochzufrieden. „Die Leute kommen mit guter Laune zu uns. Sie sind pünktlich und wissen welche Aufgaben sie zu erledigen haben.“ Allen voran Ralf Zemke. Der frühere Schreiner hat sich schnell in das neue Metier eingearbeitet, ist mittlerweile als „Kolonnenchef“ mit zwei Kollegen unterwegs fährt einen der Firmentransporter. Und: Ebenso wie Eva Böhm hat er einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen. Wenn ihnen das vor ein paar Monaten jemand gesagt hätte . . .