Bochum. Es ist die wohl bewegendste Hochzeit des Jahres in Bochum: Ein Ehepaar hat sich auf der Palliativstation der Augusta-Klinik das Ja-Wort gegeben.
„Bis dass der Tod uns scheidet“, schwören Braut und Bräutigam bei der Hochzeit und versprechen sich ewige Treue. Bei Andreas Jäschke und Iris Daniela Bahl hat der Schwur eine besondere Bedeutung. Der 59-Jährige ist todkrank und hat nur noch kurze Zeit zu leben. Dennoch, nein: genau deshalb gab er seiner Liebsten am Donnerstag das Ja-Wort – am wohl bedrückendsten Ort, den man sich für eine solche Zeremonie vorstellen kann.
Die Marzipantorte steht zum Anschneiden bereit, weiße Rosen duften in der lauen Sommerbrise, der Calla-Brautstrauß strahlt herrlich bunt, die Hochzeitsgesellschaft ist vollständig erschienen, die Standesbeamtin ist vor Ort: Alles scheint, wie es scheinen soll, wenn ein Paar den schönsten Tag im Leben feiert. Doch: Die Trauung findet auf der Terrasse der Palliativstation des Augusta-Krankenhauses statt. Denn der Bräutigam, daraus macht hier niemand ein Geheimnis, ist dem Tod geweiht.
Ärzte sprechen von „sehr begrenzter Lebenserwartung“
Seit fünf Jahren sind Andreas Jäschke und Iris Daniela Bahl zusammen. Vor vier Jahren erhielt der Bochumer, der zuletzt beim Werkschutz der Deutschen Bahn beschäftigt war, die Schockdiagnose: Blasenkrebs. Andreas Jäschke nahm den Kampf auf. Die Therapie schlug an. Alles schien gut. Mit seiner Iris, die als Verwaltungsangestellte arbeitet, mietete er vor zwei Jahren eine gemeinsame Wohnung in Leithe an. Zukunft, bitte kommen!
Doch was kam, war der Krebs. Der Tumor kehrte zurück, streute in die Leber. Andreas Jäschke musste sich erneut einer langwierigen Behandlung unterziehen. Diesmal ohne Happy End. Von der Augusta-Onkologie wurde er in dieser Woche auf die Palliativstation (acht Zimmer) verlegt. Von einer „fortgeschrittenen Tumorerkrankung“ sprechen die behandelnden Ärzte; von einer „sehr begrenzten Lebenserwartung“, die sich an Wochen, vielleicht nur Tagen bemisst.
Die Hochzeit war sein letzter Wunsch
Am Dienstag führten Andreas Jäschke und Iris Daniela Bahl ein Gespräch mit den Medizinern. „Danach war klar: Wir heiraten. Jetzt und gleich! Das war der letzte Wunsch meines Mannes “, erzählt die 55-Jährige.
Für eine standesamtliche Trauung im Rathaus oder andernorts fehlt Andreas Jäschke längst die Kraft. Also musste die Feierstunde auf der Palliativstation organisiert werden. „So etwas“, sagt Stationsleiterin Claudia Jöhring, „gab’s hier noch nie.“
„Wir haben auf den Richtigen gewartet“
Schnell musste es gehen. Iris Daniela Bahl traf in kürzester Zeit alle Vorbereitungen, unterstützt vom Wittener Motorradclub „Flying Death“, in dem beide Mitglied sind. Den wichtigsten Part spielte die Stadt: Binnen zwei Tagen gelang es, die Papiere für eine „Nottrauung“ zusammenzubekommen.
Dem Bräutigam sind die Strapazen anzusehen, als er am Donnerstagmorgen in einem Pflegestuhl auf die Terrasse gebracht wird. Doch auch tiefes Glück strahlen seine Augen aus, als er nach dem Ja-Wort seine Iris voller Liebe anschaut. Die, ganz leger in Shirt und Jeans, streichelt zärtlich seinen Kopf und Rücken. „Eigentlich wollten wir schon früher heiraten“, sagt die frisch Vermählte. „Aber es ging Andreas immer wieder zu schlecht für eine Hochzeit.“
Nottrauung mit ärztlicher Bescheinigung
Eine Nottrauung setzt per Gesetz voraus, dass eine Eheschließung wegen einer lebensgefährlichen Erkrankung nicht aufgeschoben werden kann.
„Es muss damit zu rechnen sein, dass einer der Partner während der sonst üblichen mehrwöchigen Wartezeit verstirbt“, heißt es.
Dafür muss dem Standesamt eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt werden.
Jetzt ist es geschafft. Und alles ist gut, für diesen ergreifenden Augenblick, der auch die Augen der Ärzte und Pfleger im Augusta mit Tränen füllt. Beide Eheleute waren zuvor noch nicht verheiratet. „Wir haben“, sagt Iris Daniela Bahl, „auf den Richtigen gewartet.“
Bis dass der Tod uns scheidet.