Dortmund. „Nun bist du endlich meine Frau“, flüsterte der Bräutigam nach der Trauung auf der Intensivstation der Liebsten ins Ohr. Jetzt kann er sterben.
Die Braut trug Jeans und T-Shirt, der Bräutigam ein hinten offenes Hemd. Es gab weder einen Organisten, noch Blumen. Keine Ringe, keine Luftballons und keine Festgäste in Abendgarderobe. Niemand warf Reis auf die Häupter des Paars oder streute Blüten auf ihren Weg. Und als Festmenü orderten die frisch Getrauten kurzerhand Pizza beim nächsten Lieferservice. Doch war es vermutlich die herzergreifendeste Hochzeit, die Dortmund in den letzten Tagen erlebte. Und zugleich: ganz sicher die traurigste. Denn für die beiden, die sich da auf der Intensivstation des Dortmunder Klinikums Nord das Ja-Wort gaben, wird es keine gemeinsame Zukunft geben.
Vor neun Jahren lernten sich Braut und Bräutigam während einer Kur kennen. Sie ist 51, er 62 – und todkrank. „Bei der Trauung lag er in seinen letzten Zügen“, sagt Klinikumssprecher Marc Raschke. Und das ist alles, was er verrät über dieses ungewöhnliche Liebes-Paar; das wollte, dass die Bilder und die Geschichte seiner Hochzeit öffentlich werden – „als Dankeschön an das Pflegeteam des Krankenhauses“; das aber keine Details, keine Namen und auch das konkrete Datum der Trauung nicht nennen will.
Helfen können ihm die Ärzte nicht mehr
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Seit Anfang Juni wird der 62-Jährige auf der Lungen-Intensivstation des Klinikums Dortmund-Nord behandelt, palliativ. Die Ärzte können ihm nicht mehr helfen, es geht nur noch darum, seine letzten Wochen möglichst schmerzfrei und würdevoll zu gestalten. Viel Zeit bleibt nicht mehr, merken die Pflegekräfte eines Tages. Schwester Katy erinnert sich daran, dass ihr Patient oft erzählt hat, sein größter Wunsch sei es, seine große Liebe zu heiraten. „Wollen Sie immer noch und wollen Sie wirklich?“ fragt sie den verdutzten Patienten. Der, wie seine Freundin, bis dahin gedacht hatte: Im Krankenhaus, auf der Intensivstation zumal: „Geht das doch nicht!“
„Lebt er wohl noch, wenn ich morgen früh aufwache“, fragte sich die Braut
Doch das Dortmunder Intensiv-Team kennt kein „Geht nicht“ und macht sich ans Organisieren der Hochzeit. Schwester Michaela überzeugt das Standesamt, die Braut beschafft in aller Eile die nötigen Unterlagen. Denn die Zeit drängt, das wird immer deutlicher. Immer wieder unterbricht die 51-Jährige, die vier Autostunden entfernt lebt und dort die Papiere besorgen muss, ihre Fahrt, um auf der Intensivstation anzurufen. „Wie geht es meinem Zukünftigen?“ Die Schwestern beruhigen sie: Noch nie haben sie den 62-Jährigen so voller Vor-und wohl auch Lebensfreude gesehen, erzählen sie.
Im Dauersprint erledigt die 51-Jährige in ihrer Heimatstadt, was zu erledigen ist. Drei Stunden Schlaf gönnt sich die Braut in der Nacht. Denn erst am Morgen, wenn auch vor den üblichen Bürozeiten, kann sie die Unterlagen im Standesamt abholen. „Lebt er noch, wenn ich aufwache“, fragt sie sich voller Bangen beim Einschlafen.
„Wechselbad der Gefühle, ein Taumeln zwischen Freude und Traurigkeit“
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Für Brautkleid und Brautstrauß bleibt keine Zeit. Doch das T-Shirt, das die Braut trägt, ist ja rot. „Und das ist die Farbe der Liebe“, sagt sie sich, als sie endlich zurück in Dortmund ist, ins Krankenhaus stürmt. Und überwältigt ist vom Empfang auf der Intensivstation: Eine Standesbeamtin steht am Bett ihres Liebsten, der sehr gut aussieht an diesem Tag, gestärkt von einer Extra-Portion Sauerstoff am Morgen. Aus einem CD-Player ertönt Kirchenmusik, der Raum ist mit Lichterketten und einem weißen Laken mit roten Papierherzen geschmückt. Mitten drin klebt der Schriftzug „Mr. & Mrs.“. Der Bräutigam trägt eine blaue Fliege: gebastelt aus Bettsocken, eine echte war auf die Schnelle nicht zu beschaffen. Wunderbare Eindrücke, die die 51-Jährige als Erinnerung dankbar mit nach Hause nehmen wird, wie sie später sagt. Jetzt und hier, inmitten all der piependen Apparate empfindet sie die Situation als vollkommen „unwirklich“. Sie erlebe „ein Wechselbad der Gefühle, ein Taumeln zwischen Freude und Traurigkeit“.
Nach der Trauung gibt’s Pizza für die Pflegekräfte: „Feiert Ihr für uns!“
Wenig später sind die 51-Jährige und der 62-Jährige offiziell getraut, ein richtiges Ehepaar. Der Mann atmet schwer, aber dieses Mal: vor Glück. „Jetzt bist du endlich meine Frau“, flüstert er, nachdem die Pizza fürs Pflegeteam bestellt ist. Zum Feiern, weiß er, wird er nicht mehr kommen. Es heißt stattdessen Abschied nehmen. „Feiert Ihr für uns“, sagt seine Frau.