Bochum. . Das ewige Pfeifen: Das Massenphänomen Tinnitus stand im Blickpunkt des WAZ-Medizindialogs. Viele Patienten fühlen sich unverstanden und allein.
„Bei dir piept’s wohl“: Für drei Millionen Menschen in Deutschland bedeutet dieser flapsige Spruch dauerhaftes Martyrium. Sie leiden an Tinnitus. Pfeifen, Sausen, Rauschen, Klingeln: Penetrante Ohrgeräusche vergällen den Alltag, machen krank, rauben jegliche Lebensfreude. Heilung gibt es keine. Aber Wege aus der Qual. Das WAZ-Medizinforum zeigte sie am Dienstagabend in der LWL-Klinik auf.
„Wenn die Psyche aufs Ohr schlägt“, hieß es im voll besetzten Tagungsraum an der Alexandrinenstraße. Die 110 Plätze für WAZ-Leser waren in kurzer Zeit vergeben: Der Phantomton hat sich zum Massenphänomen entwickelt.
Anstieg psychischer Erkrankungen ist ein Grund
Ein Grund: der rasante Anstieg psychischer Erkrankungen. Stress, Angst und Dauerdruck gelten als Auslöser für Tinnitus – ebenso wie eine Depression, die nicht nur Vorzeichen, sondern auch Folge der als unerträglich empfundenen Dauerbeschallung sein kann. „Das reicht von Schlafstörungen und Kopfschmerzen bis zum Selbstmord“, schildert der Direktor der LWL-Klinik, Prof. Georg Juckel.
Ist – nach einer umfassenden Untersuchung beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt – die kranke Seele als Ursache für den Tinnitus ausgemacht, können Psychopharmaka, Psychotherapie oder Entspannungsübungen wie Yoga für Linderung sorgen – vorausgesetzt, man findet einen qualifizierten Arzt.
Hörgerät sendet Gegensignal
„Allzu oft hören Patienten beim Arzt: ,Da kann man nichts machen.’ Sie fühlen sich allein gelassen, machtlos, nicht ernst genommen. Denn letztlich sind es ja nur sie selbst, die den Ton hören – sogar dann, wenn das Ohr taub ist“, erklärt Dr. Astrid Marek, Ärztliche Psychotherapeutin in der HNO-Klinik im St.-Elisabeth-Hospital.
Vorträge sind online nachzulesen
Die Vorträge des WAZ-Medizindialogs sind auf der Internetseite der LWL-Klinik nachzulesen: https://psychiatrie.lwl-uk-bochum.de
Helfen können Hörgeräte, weiß Prof. Stefan Dazert, Direktor der HNO-Klinik im „Eli“. Über die Elektronik wird ein Ton ins Innenohr aufgespielt, der dem Tinnitus-Geräusch in Frequenz und Dezibelhöhe gleich kommt. „Masker“ nennt sich das Verfahren. Das Gehirn fokussiert sich auf den fremden, unbekannten Ton – und schaltet den Tinnitus eine Zeit lang ab.
Umgang lernen
Dauerhaft, konstatieren die Experten, müssten die Betroffenen lernen, mit dem Tinnitus zu leben; versuchen, ihn zu überhören. Denn es gilt: „Je mehr man ihn weghaben will, umso penetranter wird er.“ Astrid Marek verblüfft mit einem Beispiel aus der Musik. „Ich frage alle meine Patienten: Haben Sie einen Ohrwurm?
Ein Lied, einen Schlager, der Ihnen dauerhaft im Ohr bleibt?“ Klar, sagen die meisten: und bekommen von der Ärztin gesagt: „Warum stört Sie dann der Ohrwurm so wenig – und der Tinnitus so stark?“