Bochum. . Die 28-Jährige studiert, moderiert, schauspielert und hat bereits eine Ausbildung gemacht. Für die Aktion Mensch dreht sie regelmäßig Videos.

Für einen Moment schwebt die unausgesprochene Frage im Raum. Doch bevor das Lächeln gefriert und die Stille zu laut wird, streckt Kübra Sekin die Hand aus. Die Frage verpufft: Händeschütteln ist offenbar kein Problem.

Die 28-Jährige Bochumerin hat, was die Medizin als „Osteogenesis imperfecta“ bezeichnet: Ihre Knochen sind zerbrechlicher als bei den meisten anderen Menschen, von Glasknochen spricht deshalb der Volksmund. Wie porträtiert man jemanden, der seine Behinderung zwangsläufig auch thematisiert, eben weil sie nicht zu übersehen ist? Wie vermeidet man, dass das Merkmal „Behinderung“ dabei die Persönlichkeit überlagert? Vielleicht indem man versucht, Äußerlichkeiten nicht das Gespräch beherrschen zu lassen und Kübras motorisierten Rollstuhl als das zu sehen, was er ist: ein Hilfsmittel, mit dem sie die Wege ihres Alltags bewältigt.

Dieser Alltag ist es allemal wert, genauer betrachtet zu werden: Denn die junge Frau studiert nicht bloß und jobbt nebenher, wie das so viele andere in ihrem Alter tun; sie ist auch Schauspielerin, Moderatorin und Video-Bloggerin: Für die Aktion Mensch dreht sie regelmäßig Videos, sie ist als Performerin bei der Mixed Abled Company „dorisdean“ beschäftigt und leitet gemeinsam mit Susanne Scheffler die inklusive Jugendbande „Everyone“ am Schauspielhaus. Ach ja, eine Ausbildung hat sie ebenfalls in der Tasche. „Alles zusammen ergibt mich“, sagt sie lachend. „Seit einer Woche bin ich wieder mehr Studentin, weil ich eine Hausarbeit schreiben muss“. Kurz verzieht sie das Gesicht. „Ich schreibe gar nicht gerne.“ Dabei spricht sie doch beinahe druckreife Sätze.

Aus Neugier zum Casting

Ihr erstes Casting, erzählt sie, war ein Schuss ins Blaue. Die Neugier trieb sie hin – „einfach mal gucken, was die so wollen und wie ein Casting abläuft“, dachte sie sich, und wurde engagiert. Es folgte eine Online-Jugendsendung der Aktion Mensch namens „JAM!“, die sie eineinhalb Jahre mit einem Kollegen moderierte. Weitere Engagements schlossen sich an, und schließlich dann, 2018, ihr vorläufig größtes Erfolgserlebnis: die Moderation einer Veranstaltung auf der Ruhrtriennale. Da habe ihre Behinderung erstmals nicht das Thema diktiert, schwärmt sie: „Das ist wirklich Inklusion gewesen“, denn sie sei nicht wegen ihrer Behinderung, sondern wegen ihres Könnens für den Job ausgewählt worden.

So dürfte es ruhig weitergehen, doch ihr ist auch klar, dass sie als Rednerin für das Thema Inklusion prädestiniert ist. Schließlich hat sie selbst darunter gelitten, dass andere sie als Kind „klein halten wollten“, wie sie erzählt, dass sie bloß nicht die großen Träume träumen sollte: „Von der Förderschule auf eine inklusive Schule?! – Das schaffst du nicht, Kübra.“ Erst viel später, als sie nach der Ausbildung das Fachabitur nachholte, habe sie ein Lehrer wirklich ermutigt. „Da wurde mir klar: Ich könnte studieren, ich könnte sogar etwas machen, worauf ich wirklich Lust habe.“ Und so verließ sie den Schutzraum, den die Politik vielen Menschen mit Behinderungen verordnet, verließ „die kleinen Denkmuster“ und machte sich dran, das Leben nach ihrem eigenen Geschmack zu gestalten.

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Klappt das? „Ich muss mich nicht einschränken“, sagt Kübra, „aber ich werde oft eingeschränkt, durch bauliche Gegebenheiten und kaputte Aufzüge. Ihre positive Art hält sie davon ab, der barrierevollen Infrastruktur zu viel Gewicht beizumessen. Kaum mehr als ein resigniertes Seufzen hat sie dafür übrig: „Die Straßenbahn 310 macht mich verrückt“. Viele wirklich barrierefreie privat geführte Cafés in Bochum fallen ihr auf Anhieb auch nicht ein. Und dann ist da noch die Sozialgesetzgebung: „Wer eine Assistenz braucht, bekommt die über Sozialleistungen, darf dann aber auch nur einen bestimmten Höchstsatz verdienen.“ Rente? Sparen fürs Alter? Von wegen.

Drüber sprechen, nicht weglächeln

Fazit: „Es gibt viele Strukturen, die einfach nicht stimmen.“ Auch im Miteinander der Menschen? Da macht sie selten negative Erfahrungen. Aber Ängste nimmt sie wahr, Unsicherheit. Dabei könnte es so leicht sein: „Einfach drüber sprechen, nicht weglächeln“. Also gut: Die Sache mit dem Händeschütteln – das war so eine Unsicherheit. „Ist bei mir kein Problem“, sagt Kübra, es könne aber bei anderen Menschen mit Glasknochen eines sein. „Die Behinderung hat unterschiedliche Ausprägungen.“ Dann wäre das ja geklärt. Noch ein Händedruck an der Tür, und ein Lächeln, jetzt wirklich unverkrampft, zum Abschied.