Bochum. Kinder aus sozial schwachen Stadtteilen besuchen seltener ein Gymnasium als im Rest der Stadt. Die Hauptschule spielt kaum noch eine Rolle.
Wenn am Mittwoch die Fünftklässler ihren ersten Tag an der weiterführenden Schule antreten, dann sind es in Bochum weit mehr als zwei Drittel, die das an einem Gymnasium oder einer Gesamtschule tun. Doch während im vergangenen Schuljahr in Stiepel 97 Prozent aller Kinder eine der beiden Schulformen wählten – 68,2 Prozent von ihnen das Gymnasium –, war es in Werne nur jeder Fünfte, der es aufs Gymnasium schaffte.
Zwei Dinge lassen sich ablesen: Haupt- und Realschule spielen kaum noch eine Rolle. Zwar haben beispielsweise in Hamme 31 Prozent der Grundschüler eine Hauptschulempfehlung bekommen. Auf diese Schulform gewechselt sind aber letztlich nur fünf Prozent.
Es fehlt nicht am Willen, sondern an Fähigkeiten
Und je wohlhabender und akademisierter ein Stadtteil ist, desto häufiger besuchen die dort lebenden Kinder ein Gymnasium. Hamme, Wattenscheid-Mitte, Riemke, Westenfeld – die Stadtteile mit der höchsten Arbeitslosen- und Migrantenquote sind die mit der niedrigsten Gymnasialquote. Der Wohnort bestimmt den Bildungsweg.
Das ist keine neue Erkenntnis, weiß auch Dietmar Dieckmann, seit vier Monaten Schul- und Kulturdezernent in Bochum. „Das ist ein Effekt, den es im Kern in jeder Stadt gibt.“ Klar sei: „Wenn zu Hause die Eltern das Lernen befördern, ist das etwas anderes, als wenn Eltern das nicht können.“ Vielen mangele es nicht am Willen, sondern eben an den Fähigkeiten.
Studie zeigt Zusammenhänge auf
Verschiedene Projekte sollen an diesem Punkt ansetzen. „Eltern und Schulen – gemeinsam stark“, ist eines davon. Es soll die Zusammenarbeit zwischen Eltern und Schulen stärken. „Kein Kind zurücklassen“ ist ein anderes, das nicht erst beim Thema schulische Bildung ansetzt, sondern weit vorher, zum Beispiel mit dem Einsatz von Kita-Sozialarbeitern. Dieckmann sagt: „Bildung ist nicht nur Schulpolitik, sondern auch Sozialpolitik.“
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Wie sehr der soziale Hintergrund mit der schulischen Laufbahn eines Kindes zusammenhängt, zeigt die Studie „Wege zur Metropole Ruhr“ des Zentrums für interdisziplinäre Regionalforschung an der Ruhr-Universität. Unter der Leitung von Prof. Jörg-Peter Schräpler hat die Projektgruppe den Einfluss der wirtschaftlichen und demografischen Strukturen in den Stadtteilen des Ruhrgebiets auf die Bildungs- und Teilhabechancen der Bürger untersucht. Das Ergebnis ist auch hier: Je schlechter der Sozialindex, desto weniger Kinder besuchen ein Gymnasium.
Gesamtschule füllt oft die Lücke
Im Fokus der Studie steht die Entwicklung von ehemaligen Arbeiterquartieren in sozial schwachen Vierteln über die vergangenen Jahrzehnte. „Die Stadtteile entwickeln sich immer weiter auseinander“, sagt Schräpler und warnt: „Wir verlieren Fachkräfte und gleichzeitig wachsen schlecht ausgebildete junge Menschen heran.“
Die beste Bildung für ihre Kinder wollen die meisten – und widersprechen oft der Lehrerempfehlung. Zu sehen ist das vor allem an der Diskrepanz zwischen Hauptschulempfehlungen und dem Anteil derer, die ihr entsprechen. In Bochum gibt es aber auch nur noch lediglich zwei Hauptschulen. Oft füllt die Gesamtschule die Lücke für Kinder mit jeder Schulformempfehlung – in sozial schwachen Stadtteilen liegt die Zahl der Gesamtschüler weit über der der Gymnasiasten.
Dieses Problem völlig zu beheben sei schwierig, sagt Dieckmann, „aber es muss ein Antriebsmotor sein“. „Das Ziel ist, dass jeder den höchstmöglichen Abschluss erreicht.“