Bochum. Die JVA an der Krümmede hat wieder eine „Hausband“. Gefangene aus sieben Nationen spielen neben Coverstücken auch selbst geschriebene Lieder.

„Musik zu machen, das ist wie ein Ausbruch. Das gibt mir ein Gefühl der Freiheit. Dann bin ich nicht mehr wie ein Tier im Käfig.“ Ilja U. sitzt seit zweieinhalb Monaten wegen einer Drogensache in der Justizvollzugsanstalt Bochum, genannt Krümmede.

Zwei Jahre hat der gebürtige Russe noch vor sich. Jetzt fiebert er dem Auftritt entgegen – bei dem Stadionhit „Seven Nation Army“ wird er kräftig in die Gitarrensaiten dreschen. Es klingt gut, satt.

Froh über diese Möglichkeit

„Seven Nation Army“ – der Titel spiegelt das Bandgefüge, denn Gefangene aus sieben Nationen gehören der Gruppe an, unter anderem aus Russland, Deutschland, Serbien, der Türkei. Somit würde er sich auch als Bandname eignen. Doc+h die Musiker nennen sich schlicht „Hausband“. Das hat irgendwie Demut, das hat Charme, Dienstleistungs-Charakter. Und ist bestimmt besser als „Die harten Jungs“ oder „Krümmede Knackis“.

Nicht alle wollen reden oder sich fotografieren lassen. „Das hat gute Gründe“, weiß Candida Tunkel, Sprecherin der Krümmede. Ilja und sein Kumpel Jörg S. sind tatsächlich die einzigen, die sofort zu einem Gespräch bereit sind.

Anstaltsleiter wird ausgebuht

In Jörg strömt das Adrenalin, kurz vor dem Auftritt. Er sitzt wegen Betrugs in Verbindung mit Drogen. „In Spanien saß ich auch schon mal wegen Mordes, wurde aber freigesprochen“, sagt er. Er ist seit zweieinhalb Jahren in der Krümmede, geht bald in Therapie. Später wird er sagen: „Die Lieder handeln davon, von Frauen verlassen zu werden. Und das hat seinen Grund.“

Die "Hausband" der Krümmede

Seit über zehn Jahren hat es in der Krümmede keine „hausinterne“ Band mehr gegeben.

Dass es jetzt wieder eine gibt, ist auf die Initiative der Integrationsbeauftragten Caglayan Atis, des evangelischen Pfarrers Burghard Boyke und der Sozialarbeiterinnen Claudia Lange und Monika Lorenz zurückzuführen. Sie betonen die verbindende Kraft der Musik.

Für den Auftritt am 18. Juli hatte die Hausband über drei Monate lang fast fünfmal wöchentlich geprobt.

Sein Musikgeschmack ist eigentlich sehr speziell. „Ich stehe auf Mittelalter-Gothic, Hip-Hop kann ich nicht ausstehen.“ Doch von den Songs, die Ilja geschrieben hat, ist er begeistert. Auch Jörg ist mehr als froh, dieser Hausband angehören zu dürfen. „Wir mussten uns das alles erarbeiten. Das ist unsere Leidenschaft. Hier kann man den Leuten sagen, was man will.“

Konzert für Gefangene und Betreuer

Als Anstaltsleiter Thomas König die Mehrzweckhalle der Krümmede betritt, wird er erstmal ausgebuht. Das gehört dazu. 284 Gefangene dürfen dem Auftritt der Hausband beiwohnen; sie sind in letzter Zeit nicht negativ aufgefallen. In der JVA Bochum sitzen 800 Strafgefangene ein.

Über allem schwebt ein Hauch von „Johnny Cash at San Quentin“ von 1969, einem Klassiker der Knastmusik. Die Gefangenen werden von Wärtern in kleinen Gruppen in die Halle geführt, der Hartgummiboden ist mit einem Filzteppich überdeckt.

Viele Arme an diesem Abend sind tätowiert

Um 18.15 Uhr ist die Hütte voll, alle sitzen auf Stühlen. Neben den Gefangenen zählen auch einige Betreuer der evangelischen Kirche zum Publikum. Es ist erstaunlich, wie gut die Musiker mit ihren so unterschiedlichen Herkunftsländern harmonieren. Bei einigen Stücken kommt die Saz zum Einsatz, ein vor allem in der Türkei beliebtes Saiteninstrument. Jazz, Rock, Hip-Hop, Pop – alles vermengt sich zu einem selbstverständlichen Ganzen. Viel Zwischenapplaus wird gespendet.

Und dann tritt Ilja ans Mikrophon. „Sie schreibt nicht“ hat er selbst geschrieben, nicht in der Krümmede, vorher schon, genauso wie „Wieder Herbst“. Knasterfahrungen. Verlorene Beziehungen. Zeit, die nicht vergeht. Bochum ist nicht seine erste Station. Ganz still wird es in der Halle. Ilja singt Hip-Hop, Musik, die Jörg eigentlich nicht leiden kann. Jetzt aber schon. Auch er hat seinen Gesangsauftritt. Bei „Für immer“ von der Band „Böhse Onkelz“ wird der 40-Jährige ganz sanft. Es klingt richtig gut. Seine Arme sind tätowiert. Viele Arme an diesem Abend sind tätowiert.

Es ist für eine Stunde ein kleiner Ausbruch aus dem Knastalltag. Ein Gefangener sagt: „Es tut gut, mal rauszukommen. Und auch, nicht immer nur die Musik zu hören, die im Fernsehen läuft.“ Auf der Bühne wird jetzt ein klassischer Tränendrücker gesungen: „Feelings“.