Bochum. Zum 60. Geburtstag entfernt sich das renommierte Treffen mehr denn je vom klassischen Puppenspiel. Jubel für zwei Brüder und eine Theaterlegende.
Pinke Mützen, überall pinke Wollmützen! Die sogenannten „Pussy Hats“, mit denen beim „Woman’s March“ in den USA Frauen gegen Donald Trump auf die Straße gingen, sind das Symbol des Figurentheaterfestivals Fidena. Mit viel Liebe gestrickt vom Handarbeitskreis der Emmaus-Gemeinde in Weitmar-Mark, werden die Mützen jetzt vom Fidena-Team getragen – und zwar mit Stolz.
Seit 60 Jahren steht Fidena für herausragendes, innovatives Figurentheater abseits ausgetretener Kasperle-Pfade. Wie schrill, wie bunt und bissig es zugehen kann, wenn man eine Gruppe extrem wendiger Figurenspieler einfach mal machen lässt, wird schon bei der Eröffnungsparade am Mittwoch deutlich. Da zieht eine bunte Truppe mit riesigen Figuren, mit Esel, Nashorn und Krokodil einmal fröhlich juchzend durchs baff staunende Bermudadreieck.
Am Schauspielhaus angekommen, erwartet sie „Punch Agathe“, eine 18 Meter hohe afrikanische Frauenfigur, die tanzen kann, mit den Brüsten wippt und eine kurios stammelnde Eröffnungsrede hält. Zauber durch Überwältigung: Auf dieses Rezept setzt Fidena-Leiterin Annette Dabs nach ihrem gigantischen „Moondog“-Hund vor zwei Jahren erneut.
Fetziges aus der Kindheit
Doch Fidena ist weit mehr als Spektakel: So ist die Performance „Dinge, die man leicht vergisst“ des Spaniers Xavier Bobés mit fünf (!) Zuschauern bereits ausverkauft. Kein Wunder, dass die Karten für die zwölf Vorstellungen im kleinsten Kreise schnell vergriffen waren.
Und: Das Festival zeigt erneut, dass der Begriff Figurentheater ein dehnbarer ist. So hat die Eröffnungsinszenierung „Jake & Pete“ in den Kammerspielen mit Puppenspiel im klassischen Sinn gar nichts zu tun. Jakob und Pieter sind belgische Brüder, sie sind etwa Mitte 30, tragen Bart und leichten Bauch und erinnern sich in einer rasanten Aufführung an ihre Kindheit. Wie war das, als beide um die Wette brüllten, bis der erste heiser wurde? Als sie so lange im Kreis hintereinander her rannten, bis der Schnellere dem Langsameren mit Karacho in den Hintern trat?
Kästen werden zum Abenteuerspielplatz
Verblüffend gelenkig spielen sie mit etwa 15 Kästen aus Holz, die mal zum Turm, mal zur Treppe, mal zum Abenteuerspielplatz werden. Wie beide ihre Eigenheiten und Eitelkeiten pflegen, wie sie sich gegenseitig übertrumpfen wollen, aber doch in tiefer Zuneigung miteinander verbunden sind, das hat deftigen Charme.
Tags drauf auf gleicher Bühne ein ganz anderes Bild: Neville Tranter und sein „Stuffed Puppet Theatre“ sind zurück, und sie können sich auf ihre Fans verlassen. Der Saal ist ausverkauft, Handykameras werden gezückt. „Babylon“ ist Tranters Beitrag zur Flüchtlingsdebatte – und wer die phantasievollen, aber stets auch gehörig verstiegenen Arbeiten der australischen Puppenspiel-Legende kennt, der weiß: Das ist ein heiterer Abend mit Niveau.
Erneut sind die Figuren phantastisch gestaltet – und dem Puppenmagier Tranter gelingt der Trick, dass man ihn selber hinter den Figuren stehend schon nach fünf Minuten gar nicht mehr sieht. Er führt seine Puppen mit solcher Souveränität, die jedes Mal aufs Neue staunen lässt.
>>> „Niedliche Puppenkiste? Nie!“ Ein Kommentar von Sven Westernströer
Eine Figurenparade mit Künstlern aus Australien und dem Kongo zieht durch die Innenstadt, zierliche Japanerinnen wehen im Kimono durchs Foyer der Kammerspiele, in dem mehrheitlich Englisch gesprochen wird: Kein Zweifel, die Fidena ist ein Festival von internationalem Renommee, das der Kulturstadt Bochum gut tut und ihr neue Denkanstöße verleiht.
Und das Festival findet sein Publikum, wie die bestens besuchten Vorstellungen beweisen. Neugierig lassen sich die Besucher von den Ensembles überraschen, die zeigen, dass innovatives Figurentheater das Klischee von der niedlichen Puppenkiste längst hinter sich gelassen hat. Ihr Theater ist mutig, es hat Kante – und es fordert die Zuschauer heraus. Große Klasse.