Wie die Zeche das Leben der Bergmannsfrauen bestimmte
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Bochum. . Als 18-Jährige heiratete Hannelore aus Bochum in eine Bergarbeiterfamilie ein. Ihr Mann Hans-Georg war Hauer auf der Zeche Robert Müser.
Die Erinnerungsstücke liegen, wie könnte es anders sein, nicht im Haus, sondern darunter – im Keller. Ein kleines Museum schlummert hier zwischen dem stillgelegten Partykeller, der Waschküche und der Treppe hinauf in den Wohnraum: Grubenlampen in zig Größen und Formen, die alte Bergmannstracht, ein Grubentelefon, Auszeichnungen und Bilder an den Wänden, blecherne Brotdosen, Pannschüppe, Kauenhaken, Mutterklötzchen und die Heilige Barbara in mehrfacher Ausführung. Schutzpatroninnen kann man nie genug haben.
Hannelore ist nie unter Tage gewesen. Warum auch, „da waren Frauen ja gar nicht erlaubt“. Und doch lässt sich ihre Geschichte nicht ohne den Bergbau erzählen. Nicht ohne den mittlerweile verstorbenen Hans-Georg, Hauer auf der Zeche Robert Müser, „immer gut gelaunt“ und „immer beschäftigt“. Das kleine Kellermuseum ist aus seiner Liebe zum Beruf und seiner Sammelleidenschaft entstanden.
Vater und Großvater waren Bergmänner
Für Hannelore spielt das Leben nicht in diesem Kellerraum, in den sich ihr Mann gerne zurückzog, um zu tüfteln und zu basteln – es spielt in der Küche. Das war schon immer so. Von ihrem Platz, auf einem Höckerchen in der Ecke zwischen Arbeitsplatte und Kaffeemaschine, verteilt die 78-Jährige Kekse und Kaffee an die Gäste. Und erzählt.
Als die angehende Verkäuferin Hannelore ihren Hans-Georg kennenlernt, ist sie mit einer Freundin unterwegs. Die beiden jungen Frauen fragen zwei Männer nach der Uhrzeit, man plaudert ein wenig, die Frauen verabschieden sich. Doch die Männer wollen sich nicht abwimmeln lassen. Hans-Georg und Hannelore verabreden sich, mögen sich, werden ein Paar. Sie ist gerade „achtzehneinhalb“ und er 21, als Hochzeit gefeiert wird – „und es ist gut gegangen“.
1958 zieht das junge Paar ins Haus der Schwiegereltern, ein Sohn wird geboren. Hannelore hat in eine Bergarbeiterfamilie eingeheiratet: Der Vater ihres Mannes ist Bergmann, der Großvater war es auch. Und so wie der Bergbau Vater und Sohn verbindet, bringt er auch Hannelore und die Schwiegermutter zusammen: an den Bottichen in der Waschküche, wo sie jedes Wochenende den Staub und Schweiß einer ganzen Arbeitswoche aus der Bergarbeiterkluft ihrer Männer waschen.
Die Bergleute haben nie gemurrt
Die Bergleute selbst, beeilt sich Hannelore zu sagen, seien „immer sehr sauber gewesen, haben ja nie gemurrt, es war eben so auf Zeche“. Auch Hannelore murrt nicht, obwohl das Waschen, damals noch ohne Waschmaschine, Knochenarbeit ist: Die Wäsche muss eingeweicht, gekocht, gestampft werden – „und man musste sie übers Wochenende wieder trocken bekommen“.
Auch an allen anderen Tagen schafft Hannelore ein ordentliches Pensum: Hausarbeit von sieben bis halb zehn, Arbeit als Verkäuferin von zehn bis zwei, dann schnell nach Hause, damit ihr Sohn nach der Schule nicht allein sein muss.
Von der Arbeit der Männer erfährt die junge Mutter nicht viel. „Schwer“ sei sie gewesen, „mit dem Bohrhammer vor Kohle“, die Männer kernige Typen – „keine Wohlstandsmänner so wie die Männer heute mit ihren Bäuchsken“.
1968 wird die Zeche Robert Müser stillgelegt
Wenn Hannelore den Namen der Zeche ausspricht, klingt Müser wie Mühsal. Doch erst viele Jahre später, im Bergbaumuseum, bekommt sie eine Ahnung davon, was ihr Hans-Georg größtenteils für sich behalten hat – vielleicht weil er sie nicht ängstigen wollte. Er selbst aber habe nie Angst gehabt, erzählt sie, auch nicht, nachdem er „mal untern Bruch gekommen ist“.
Als die Zeche 1968 stillgelegt wird, verlieren viele Kumpel ihre Arbeit. Hans-Georg schult um – doch die Besuche beim Arbeitsamt und die Nachweise, die er ständig vorzeigen muss, empfindet Hannelore als kleinlich. Noch heute gerät sie in Rage, wenn sie von dieser Zeit erzählt: „Diese Männer haben unter Tage für den Wohlstand Deutschlands gesorgt und dann mussten sie sich so demütigen lassen.“
Ganz besonderer Zusammenhalt
Hans-Georg nimmt all das mit Gleichmut hin. „Er hatte ja nie schlechte Laune“, sagt seine Frau. Er findet eine neue Arbeit, kauft sich ein Motorrad, tüftelt in seinem Keller, sammelt nicht nur Bergbau-Andenken sondern auch Uhren, baut sogar selbst welche, weil ihn die Mechanik fasziniert. Wenn es damals keine Selbstverständlichkeit gewesen wäre, es dem Vater und Großvater gleichzutun – vielleicht wäre Hans-Georg Ingenieur geworden.
Doch aus seiner Zeit unter Tage nimmt er etwas Wichtiges mit: einen ganz besonderen Zusammenhalt, den er auch in seine Nachbarschaft trägt, wo er stets zur Stelle ist, wenn etwas repariert werden muss. Dieser Zusammenhalt hat Hannelore immer imponiert – „das war was ganz anderes, als wenn man außerhalb in einem Betrieb gearbeitet hat“.
Aus dem Projekt Bochum – ProBO – heraus ist die erstmalige Kooperation zwischen elf WAZ-Lokalredaktionen und neun Lokalradios im Ruhrgebiet entstanden. Alle Themen erarbeiten die Zeitungs- und Radioredakteure gemeinsam vor Ort.
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