bochum. Bochum erhebt Erschließungskosten für eine 114 Jahre alte Straße. Zu Unrecht, sagen Anwohner der Flottmannstraße. Mindest einer will klagen.
Seit 32 Jahren wohnt Familie Linnemann an der Flottmannstraße in Riemke; einer Straße mit Gewerbeflächen, Mehrfamilien- und Einfamilienhäusern. Typisches Ruhrgebiet, in dem sich der gebürtige Sauerländer und ehemalige Bezirksschornsteinfegermeister Reinhard Linnemann auch wohl fühlt. Dieser Tage hat der 70-Jährige aber einen dicken Hals. Er soll Erschließungsgebühren an die Stadt Bochum bezahlen – für eine Straße, die es seit mehr als 100 Jahren gibt.
Keine Bürgerbeteiligung
Ortstermin bei Linnemanns im Arbeitszimmer. „Das ist eine Sauerei“, sagt eine Anwohnerin, die wie einige andere Hausbesitzer die Gelegenheit ergreift, um ihrem Unmut Luft zu machen: darüber, dass die Stadt es nicht für nötig gehalten habe, mit den Anliegern über die 2015 beschlossene und für dieses Jahr geplante Umgestaltung zu sprechen; darüber, dass die künftige Fahrbahnbreite von 6,50 Meter zu schmal sei für ein Gebiet, in dem Lastwagen verkehren; aber vor allem über die Gebührenrechnung.
Gut 7700 Euro muss Familie Linnemann bis zum 5. März bezahlen. Die anderen Hauseigentümer sind mit ähnlichen Summen dabei, je nach Grundstücksgröße. Der Verwendungszweck: „Vorausleistung auf den endgültigen Erschließungsbeitrag“. Und das sei besagte „Sauerei“, so eine Anwohnerin.
„Ich wehre mich gegen diese Forderung“
Sie und ihre Nachbarn fühlen sich zu Unrecht zur Kasse gebeten. Denn: 2006 sei die Erneuerung von Kanal und Fahrbahn bereits nach dem Kommunalabgabengesetz (KAG) berechnet worden. Zwölf Jahre später für eine angebliche Ersterschließung Erschließungsbeiträge nach dem Baugesetzbuch zu fordern, sei nicht zulässig. So sehen es auch die Nachbarn. „Ich wehre mich gegen diese Forderung; zumal eine Straße aufgerissen wird, die so gut wie neu ist“, sagt Reinhard Linnemann. Er werde eine Klage vor dem Verwaltungsgericht anstrengen.
Stadt-Sprecher Thomas Sprenger räumt ein, dass es zwar schwer nachvollziehbar sei, heute Kosten zu tragen für Maßnahmen, die zum Teil in den 60er Jahren entstanden seien. „Aber eine erstmalige Erschließung liegt erst dann vor, wenn eine Straße komplett fertiggestellt ist – mit Fahrbahn, Parkplätzen, Kanalisation, Beleuchtung und Bürgersteigen.“
Genau das treffe auf die Flottmannstraße zu. Und die ist offenbar auch kein Einzelfall. Über genaue Zahlen, wie viele der mehr als 2000 Bochumer Straßen noch nicht komplett erschlossen und abgerechnet sind, verfüge die Stadt nicht, so der Stadt-Sprecher. Aber anders als heute sei es früher nicht unüblich gewesen, Straßen zu erstellen und lange zu nutzen, die noch nicht komplett erschlossen seien. Will sagen: Fälle wie der an der Flottmannstraße könnte es in Zukunft noch einige geben.
Ähnlicher Fall steht kurz vor der Entscheidung
Und demnächst wird über einen ähnlichen Fall auch Recht gesprochen. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verhandelt am 10. April über die Klage von 18 Anwohnern des Krüzwegs in Dahlhausen. Die hatten vor knapp zwei Jahren geklagt, weil sie insgesamt 400 000 Euro als Vorauszahlung für den endgültigen Ausbau ihrer Straße bezahlen mussten, bestreiten aber, dass es sich um einen Ersterschließung handelt. In der Flottmannstraße werden sie ganz hinaus hinschauen, wie die Verwaltungsrichter entscheiden.
Volker Steude: In Bochum ticken die Uhren anders
Wind vom „Fall Flottmannstraße“ hat mittlerweile die Ratfraktion „FDP & Die Stadtgestalter“ bekommen.
„In Bochum ticken die Uhren anders. In diesem Fall 114 Jahre zu langsam. Verrückt, aber so lange braucht die Stadt, um eine Straße erstmalig vollständig herzustellen“, erklärt Volker Steude, stellvertretender Fraktionsvorsitzender.