Bochum. . Nur wenn er nicht mehr zur Schule geht, soll ein Flüchtling finanzielle Unterstützung erhalten. Die Stadt Bochum will nun unbürokratisch helfen.

  • Milad kam als unbegleiteter Minderjähriger nach Deutschland und wurde von der Jugendhilfe betreut
  • Mit seinem 18. Geburtstag endete die Unterstützung; Milad wollte trotzdem weiter zur Schule gehen
  • Aber ein Erlass des NRW-Schulministeriums sieht vor, dass er dann keine finanzielle Unterstützung erhält

Der 18. Geburtstag ist eigentlich ein ganz besonderer: der Türöffner in die Erwachsenenwelt mit all ihren Möglichkeiten und Verheißungen. Für Milad Latifzada schlug dieser Geburtstag aber erst einmal alle Türen zu. Aus seinem WG-Zimmer sollte der Jugendliche ausziehen, in eine Sammelunterkunft.

Und die Schule sollte er abbrechen. Seine Geschichte offenbart ein Problem, das nicht nur diesen einen Jugendlichen betrifft, sondern zahlreiche junge Menschen, die in Deutschland und Bochum Schutz und eine Perspektive suchen.

Kein Bafög im Asylverfahren

Milad stammt aus Afghanistan, 2015 kommt er als sogenannter „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ nach Deutschland. Während sein Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in der Warteschleife hängt, wird Milad in Bochum gut aufgefangen.

Von Betreuungsangeboten der Jugendhilfe und von engagierten Mitgliedern des Turnzentrums Bochum Witten. Dort trainiert Milad nicht nur seine eigenen Turnkünste, er wird bald auch als Trainer eingesetzt, „weil er unwahrscheinlich gut mit den jüngeren Turnern umgehen kann“, sagt der Stützpunktleiter des Turnzentrums Dietrich Spiegel.

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Auch in der Schule läuft es gut für Milad: Mit einem Zeugnis voller Einsen und Zweien macht er den Hauptschulabschluss. Sein Plan: erweiterter Realschulabschluss und vielleicht das Fachabi. Dann aber kommt der 18. Geburtstag und mit ihm das Ende der Betreuung durch die Jugendhilfe.

Eigentlich hätte Milad nun einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Eigentlich. Denn damit Milad das Geld erhält, soll er eine Abmeldung von der Schule vorlegen – sonst bekommt er nichts.

Eine Formulierung birgt ein Problem

Was wie ein Missverständnis klingt, geht auf einen Erlass des nordrhein-westfälischen Schulministeriums zurück. Darin wird der Besuch einer „internationalen Förderklasse“, wie Milad und zahlreiche andere Flüchtlinge sie besuchen, als „dem Grunde nach“ Bafög-fähig bezeichnet.

Diese Formulierung birgt ein Problem: Denn wenn etwas „dem Grunde nach“ förderungsfähig ist, sind weitergehende Leistungsansprüche ausgeschlossen. Würde Milad tatsächlich Bafög bekommen, bräuchte er natürlich kein Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Das ist logisch.

Doch der theoretische Anspruch greift nicht, weil Bafög niemandem zugestanden wird, über dessen Asylantrag noch nicht entschieden wurde. In Milads Fall kann diese Entscheidung allerdings noch Monate auf sich warten lassen.

Bis zu 80 Prozent der Schüler einer Klasse könnten betroffen sein

Alles hängt also an einer kleinen Formulierung. Was so absurd klingt, dass Milads Fürsprecher im Verein es erst nicht glauben wollten, bestätigt die Rechtsanwältin Nadine Flesch. Sie hat allein in dieser Woche um die 30 Anfragen zum Thema erhalten. „Die Schulen mit internationalen Förderklassen sind in einer Mail von dem Erlass informiert worden“, so Flesch. Bis zu 80 Prozent der Schüler in diesen Klassen könnten betroffen sein, schätzt sie.

Stadtsprecher Thomas Sprenger weiß aktuell von zwei weiteren Fällen „mit ähnlich gelagerter Problematik“, die man sich nun anschauen müsse. Er kann sich aber ebenfalls gut vorstellen, dass es weitere Betroffene gibt.

„Freiwillige Leistung“ der Stadt

Einige Tage nach der ersten WAZ-Anfrage bei der Stadt kann Thomas Sprenger im Fall Milad indes gute Nachrichten verkünden: Man werde den Jugendlichen weiter finanziell unterstützen, so dass er nicht in eine Flüchtlingsunterkunft ziehen muss und wieder zur Schule gehen kann. „Das ist eine freiwillige Leistung, die wir ihm zugestehen.“

Als Milad das erfährt, ist er sprachlos vor Erleichterung. Doch Thomas Sprenger betont auch, dass man aus dieser Entscheidung keine generellen Hilfszusagen ableiten könne. „Jeder Fall muss neu entschieden werden.“ Eine Anfrage an das NRW-Schulministerium, das den Erlass zu verantworten hat, blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.

>>> INFO: Betreuung endet mit dem 18. Geburtstag

Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gilt die Schulpflicht. Außerdem werden sie von der Jugendhilfe umfassend betreut.

  • Mit dem 18. Geburtstag endet die Jugendhilfe abrupt, sofern sie nicht auf Antrag verlängert wird.

  • Wollen Flüchtlinge während des laufenden Asylverfahrens arbeiten, brauchen sie eine Arbeitserlaubnis, die in Bochum erst nach einer Vorrangprüfung gewährt wird – also wenn nachgewiesen ist, dass kein inländischer Arbeitnehmer für den konkreten Job zu finden ist.