Bochum-Langendreer. Internetplattform „Hoaxmap“ recherchiert und widerlegt pauschale Unterstellungen über Geflüchtete. Einem „Klima der Angst“ soll vorgebeugt werden.

Manchmal reicht Kopfschütteln nicht aus. „Mir begegnen häufig Gerüchte über Geflüchtete“, sagt Annette Schnurr, die als Dozentin in der Erwachsenenbildung arbeitet. „Ich würde diese Behauptungen gerne glaubhaft widerlegen können.“ So wird behauptet, geflüchtete Menschen würden mehrheitlich Sachleistungen missbrauchen, gegen deutsche Gesetze verstoßen und sexuelle Gewalt ausüben.

„Wir haben rund 400 solcher Gerüchte gesammelt – und alle widerlegen können“, sagt Karolin Schwarz. Im Bochumer Bahnhof Langendreer stellte die Unternehmensberaterin aus Leipzig die Internetplattform „HOAXmap – Neues aus der Gerüchteküche“ vor, die sie im Februar zusammen mit dem Softwareentwickler Lutz Helm gegründet hat. „Wir wollen zu einer Versachlichung der Debatte beitragen.“

Verunglimpfende Gerüchte widerlegt

So sammelte das junge Team verunglimpfende Aussagen über Geflüchtete, die seit dem vergangenen Herbst in lokalen, überregionalen und sozialen Medien zu lesen waren – und widerlegte diese anhand von Polizeiberichten, journalistischen Recherchen, Meldungen und Statistiken aus Ämtern und anderen Einrichtungen. Einige Aussagen auf ihrer Seite stammen von prominenten Politikern – und mussten, wenn sie haltlos waren, bereits öffentlich dementiert werden.

„Wenn wir die Lügen dokumentieren und entlarven, dann kommen wir vielleicht dazu, rassistische Debatten einzudämpfen“, sagt Ismail Küpeli über die sogenannte Hate Speech (Hass-Sprache). Der Duisburger Journalist leitet für die Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum das Medienprojekt Re:Speech, in dessen Rahmen der Abend stattfand.

Veranstaltung von Re:Speech

Das Medienprojekt Re:Speech der Medizinischen Flüchtlingshilfe wird gefördert von der Bundeszentrale für pol. Bildung, der Amadeu Antonio Stiftung und der Aktion Selbstbesteuerung.

Am 4. Juli um 19 Uhr findet im Rahmen von Re:Speech eine offene Veranstaltung zum Thema „Krieg und Flucht in Nordsyrien“ statt, Bahnhof Langendreer, Wallbaumweg 108.

„Wir erleben das fast alle“, sagt Tareq Alaows aus Bochum, der in Syrien Jura studierte und zu dem selbstorganisierten Netzwerk „Refugee Strike Bochum“ gehört. Es geht um Vorbehalte, Misstrauen, teilweise auch Feindlichkeit. „Wir haben großartige deutsche Unterstützerinnen“, betont Alaows. „Aber es ist wichtig, dass wir lernen, auch für uns selbst zu sprechen.“

Datenbank soll als Werkzeug dienen

„Wir haben eine Datenbank geschaffen, die anderen als Werkzeug und Argumentationshilfe dienen soll, um Falschmeldungen zu widerlegen“, so Schwarz. „Wir haben uns auch gefragt: Nehmen die Gerüchte zu? Welche regionalen Besonderheiten gibt es? Dabei stellten wir fest, dass die Bayern eher aufs Geld gucken“, sagt Schwarz in fröhlichem Zynismus. „Wobei natürlich außer Frage steht, dass kriminelle Taten strafrechtlich verfolgt werden müssen.“ Unabhängig davon, ob sie von einem Menschen mit oder ohne Fluchtgeschichte begangen wurde. „Wir wollen auf keinen Fall zu dem Narrativ beitragen, dass alle Vergewaltigungen erfunden werden!“ Vielmehr gehe es darum, pauschalen Unterstellungen und einem Klima der Angst vorzubeugen. „Wir wollen Journalistinnen motivieren, Gerüchten nachzugehen, und Internetnutzer sollten alle Informationen, die sie bekommen, stets hinterfragen.“

Annette Schurr hat sich nicht alle 400 Gegenargumente gemerkt, weiß nun aber, wo sie zu finden sind. „Ich werde auf jeden Fall demnächst häufiger auf die Seite gucken, bevor es mir in einem Gespräch die Sprache verschlägt.“