Bochum. Heinz-Dieter Tiemeyer fährt mit seiner Auto-Gruppe weiter auf Wachstumskurs: 1000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 500 Millionen Euro peilt er an.
Er ist einer der größten VW-Händler Deutschlands, betreibt die zweitgrößte Autogruppe im Ruhrgebiet und expandiert stetig. Heinz-Dieter Tiemeyer (54) beschäftigt in seinen Autohäusern an zwölf Standorten mittlerweile insgesamt 830 Beschäftigte, der Jahresumsatz wird sich 2015 auf 425 Millionen Euro belaufen. Mit dem gebürtigen Bochumer hat WAZ-Redakteur Andreas Rorowski über den VW-Skandal, die Entwicklung seiner Unternehmen und über den Wirtschaftsstandort Bochum gesprochen.
Herr Tiemeyer, womit sind Sie heute zur Arbeit gekommen? VW Phaeton, Audi R8, Seat Leon? Was ist Ihr Auto?
Heinz-Dieter Tiemeyer: Ich fahre alle Autos aus der VW-Gruppe, um überhaupt mitreden zu können. Im Moment ist es ein VW Tiguan.
Welchen Fahrstil pflegen Sie? Defensiv, offensiv?
Tiemeyer: Ich fahre der Verkehrslage angepasst. Ich habe immer einen Tempomat drin und fahre dann so schnell wie ich fahren darf.
Offensiv ist ihre Geschäftsführung. Unter Ihrer Leitung ist die Tiemeyer-Gruppe enorm gewachsen. Welches Ziel haben sie sich gesteckt?
Tiemeyer: Größe ist in der Branche eine Notwendigkeit. Die Großen wachsen permanent, die Hersteller wollen auch nur noch große Händler, zumindest in den Ballungsgebieten. Größe ist notwendig, um Boni abzuschaffen und Prozesse der Hersteller abzubilden. 1000 Mitarbeiter und 500 Millionen Euro Umsatz. Das ist so mein Ziel.
Aber die Zahlen sind kein reiner Selbstzweck?
Tiemeyer: Wir haben die Schlacht um die guten Leute. Wenn sie gute Leute kriegen wollen, müssen sie ihnen Chancen bieten und Entlohnungen mit Aufstiegschancen bieten. Gute Leute kriegen wir im Handel und in der Werkstatt nur, wenn wir ihnen einen Karriereweg eröffnen und ihren sagen können, ihr könnt bei uns Kundendienstleiter oder Geschäftsführer werden. Die Größe bestimmt die Attraktivität des Arbeitgebers.
Ist das auch der Grund dafür, dass Sie Ihre Lehrlinge seit 2014 am neuen, privaten Wirtschaftskolleg ausbilden lassen?
Tiemeyer: Wir haben einen Arbeitnehmermarkt. Und der Arbeitgeber muss zusehen, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber attraktiv findet. Attraktiver Arbeitgeber im Ruhrgebiet zu sein, ist ein Ziel von uns. Deshalb bilden wir die Lehrlinge anders aus, wir bilden sie besser aus. Wir fahren mit ihnen zur Autostadt nach Wolfsburg, wir machen mit ihnen soziale Projekte. Die Lehrlinge werden prämiert, bekommen 1000 Euro, dürfen bis zu 100 Stunden an einem Projekt arbeiten. Wir unterstützen die Aktion „Schalke hilft“ und machen viel für Flüchtlinge. Wir wollen dass unsere Lehrlinge soziale Verantwortung übernehmen.
Sie sind bereits der zweitgrößte Händler im Revier. Planen Sie weitere Marken zu vertreiben oder weitere Standorte zu übernehmen?
Tiemeyer: Mein Wunschkandidat ist noch die Marke Skoda aus dem VW-Konzern. Wir stehen mit Skoda in Verhandlungen und haben an der Porschestraße schon ein Grundstück gekauft, um die automobile Meile weiter zu entwickeln. Und wir verhandeln gerade mit einer Automobil-Handelsgruppe über eine Übernahme oder Mehrheitsbeteiligung.
Wo?
Tiemeyer: Im Umkreis von 40 bis 50 Kilometern.
Wo steht die Branche in fünf Jahren?
Tiemeyer: Sie wird sich gravierend verändern. Wir werden selbstfahrende Autos und ganz viel Elektromobilität bekommen; auch in Folge des VW-Skandals. Da wird man sich wahrscheinlich vom Diesel entfernen und mehr Elektroautos bauen. Wir werden in der Elektronikvernetzung der Autos in 15 Jahren Datentransfers erleben, von denen wir heute vielleicht sagen, das hätten wir nicht gedacht. Die Automobilindustrie steht vor einem unglaublichen Wandel.
Was halten Sie vom selbstfahrenden Auto?
Tiemeyer: Ich bin schon ein selbstfahrendes Auto gefahren, saß hinterm Steuer und durfte es nicht anpacken. Der Ingenieur hat zu mir gesagt, das einzige Problem im Auto sind sie. Sie können alles schlechter als das Auto. Sie bremsen zu spät, sie rechnen den Bremsweg nicht richtig aus, das Auto fährt anders, in den Kurven werden andere Ideallinien gefahren. Das ist erschreckend. Aber so eine Kiste findet seine Parklücke und stellt sich automatisch da hinein. Wir werden Induktionsaufladung kriegen. Wir schicken das Auto während eines Termins in Parkhaus, es fährt dort hin, kriegt dort für eine Stunde Elektrizität und kommt wieder zurück.
Wie viel Science Fiction ist das und wann kommt das?
Tiemeyer: Im Volkswagen-Werk fahren momentan 200 bis 300 Autos herum, wo der Fahrer auf der Beifahrerseite sitzt. Ich würde sagen in den nächsten fünf Jahren werden wir die ersten Autos haben, die teilautonom fahren. In zehn Jahren fahren die Autos autonom.
Welche Entwicklung wird die E-Mobilität nehmen?
Tiemeyer: Da gibt es Fortschritte. Die Frage ist, wann kann der Konsument das bezahlen. Er wird ein E-Auto kaufen, wenn es sich für ihn lohnt.
Die Manipulation ist eine „Riesenschweinerei“
Sie haben den Diesel-Skandal schon angesprochen. Was war in den ersten Tagen bei Ihnen los, als bekannt wurde, dass VW geschummelt hat.
Tiemeyer: VW hat manipuliert an der Software, was eine Riesenschweinerei ist. Wir haben eine Hotline eingerichtet und dort haben sich bis jetzt 150 Leute gemeldet. Ich war überrascht, dass es so wenige waren. Ich hätte mit einer Null mehr dran gerechnet. 70 Prozent sind unsicher, 30 Prozent verärgert. Wir verkaufen aber nach wie vor auf hohem Niveau, auch Diesel-Autos. Die Nachfrage nach Volkswagen ist ungebrochen.
Ohne Bonus oder Anreiz?
Tiemeyer: Wir bieten im Moment keinen Anreiz. Wir spüren den Skandal nicht. Das hätte ich nie geglaubt vor 14 Tagen. Da habe ich nachts nicht geschlafen.
Sie müssen also nicht um ihre Absatzzahlen fürchten?
Tiemeyer:
Ich habe eine Woche gefürchtet. Wir haben eine Unternehmensplanung für das nächste Jahr gemacht mit sieben Prozent mehr Absatz für alle unsere Marken. Und ich bin jetzt wieder zuversichtlich, dass wir das schaffen.
Wie viele Fahrzeuge werden sie nachrüsten müssen, wenn es zur Rückrufaktion kommt?
Tiemeyer: Wir rechnen mit 10.000 Autos.
Was wenige wissen, sie sind auch in einer anderen Branche erfolgreich. Sie haben 1990 in den neuen Bundesländern ein Möbelhaus gegründet. Der Umsatz soll mittlerweile mehr als 30 Millionen Euro betragen. Wie kam es dazu?
Tiemeyer: Ich bin auch Möbelhändler. Das ist richtig. Ich habe die Firma Multi-Möbel zusammen mit einem Partner aus Bochum gegründet. Wir sind mit 168 Mitarbeitern an elf Standorten in den neuen Ländern tätig. Es gibt viele Parallelen zwischen Automobil- und Möbelvertrieb, auch wenn sich die Produkte nicht sehr ähnlich sind.
Denken Sie auch daran, Möbel im Ruhrgebiet und Autos in den neuen Ländern zu verkaufen?
Tiemeyer: Nein. Das ist gar nicht vorstellbar. Die Konkurrenzsituation bei Möbeln ist im Ruhrgebiet extrem. Die Großen werden immer größer. Wir gehen gerne in eine Kleinstadt und sind da der Größte. Das Automobilgeschäft im Osten wäre nicht sehr vielversprechend, weil die Region sehr kaufkraftschwach ist. Beides ist im Moment nicht denkbar.
Zum Schluss noch eine Einschätzung zu ihrer Heimatstadt. Wie bewerten Sie den Wirtschaftsstandort Bochum?
Tiemeyer: Ich bewerte ihn als gut. Wir haben im Ruhrgebiet viele Städte, denen es schlechter geht. Ich bin sogar der Ansicht, dass bei uns in den letzten Jahren die Verwaltung sich bemüht hat, sich zu verbessern. Den Willen sich zu verbessern, sehe ich deutlich. Ansonsten fehlt es den Bochumern ein bisschen an Stolz. Wir sprechen unsere Stadt viel schlechter als sie ist.