Bochum. . Eine Ausstellung in der Bochumer Zeche Hannover umdribbelt die Ballgeschichte „Von Kuzorra bis Özil“ und widmet sich der Frage, wie sich Integration und Fußball vertragen.
Klose und Podolski, Khedira und Özil, Aogo und Boateng, Cacau und Mario Gomez – als der Nationalkader für die WM 2010 in Südafrika feststand, staunten die Deutschen über sich. Von der „Multikulti-Elf“ war die Rede. Nur vier Jahre nach dem fahnenseligen „Sommermärchen“ machte der ballorientierte Teil der Nation erneut eine Erfahrung, die sich seither auch im politischen Denken verankert: Deutschland ist ein Einwanderungsland.
Doch die glänzende Medaille hat auch eine Kehrseite: Sonntag für Sonntag spielen sich auf den Kreisliga-Plätzen des Landes Szenen ab, die an der Integrationsleistung des Fußballs zweifeln lassen. Zumal wenn Mannschaften mit überwiegend türkischen Wurzeln eine Spielkultur pflegen, die an Kampfsportarten und Schützenfestschlägereien erinnert, ist Rassismus an der Tagesordnung, genau wie der Missbrauch des Rassismus-Vorwurfs als Totschlagargument.
Über 150 Ausstellungsstücke
Entscheidend ist dabei nicht immer aufm Platz. Der heute 29 Jahre alte Hianick Kamba etwa floh mit der Familie aus dem Kongo. Dank seines Fußball-Talents konnte er in der Schalker Knappenschmiede anheuern. Doch als er 17 war, wurde der Asylantrag von Hianicks Eltern abgeschmettert. Sie mussten zurück in den Kongo; er durfte bleiben, Schalke und seine Schulklasse hatten die Öffentlichkeit alarmiert. Doch heute spielt Kamba beim VfB Hüls in der Bezirksliga. „Wenn meine Eltern hätten hierbleiben können“, ist er sich heute sicher, „wäre es mit meiner Karriere nicht so bergab gegangen.“
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Bei Schalke gab es keinen Rassismus, die Nachwuchsmannschaften sind voller Migrantensöhne, auf deren schmalen Schultern oft die Aufstiegshoffnungen ihrer Familien ruhen. Aber auf den Amateurplätzen ist Rassismus für den dunkelhäutigen Hianick Kamba Alltag. Wegen dieses Zwiespalts ist Kamba nun Teil der Ausstellung „Von Kuzorra bis Özil“ in der Bochumer Denkmal-Zeche Hannover. Sie ist die erste, die sich der Frage widmet, wie sich Integration und Fußball vertragen. Über 150 Ausstellungsstücke von Mesut Özils erstem Profi-Trikot bis zu abgewetzten Fußballstiefeln aus den 20er-Jahren lassen ahnen, wie viele Facetten sich ergeben, wenn Einwanderung und Fußball zusammenkommen. Er selbst ist ja im Ruhrgebiet auch ein Einwanderer: Als Bürgersport aus England misstrauisch beäugt, integrierte sich die „Fußlümmelei“ so schnell wie perfekt, auch unter den eine Million „Ruhrpolen“, die seit 1870 in Zechen und Stahlwerken schufteten: „Fußball“, sagt Museums-Chef Dietmar Osses, „war die Kontaktarena der Einwanderungsgesellschaft, und das nicht nur positiv.“
In Duisburg und Witten wurden die ersten Fußballvereine gegründet. Und als die Schalker 1934 ihren ersten deutschen Meistertitel errangen, standen Männer wie Fritz Szepan, Valentin Przybylski, Otto Tibulski und Ernst Kuzorra im Team, was den polnischen „Kicker“ dieser Zeit jubeln ließ, die Deutsche Meisterschaft sei von polnischen Söhnen errungen worden. Die Schalker Vereinsführung stellte rasch klar, dass die Familien der Fußballer schon vor Jahrzehnten eingewandert seien. Als nach dem Zweiten Weltkrieg die Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten das Revier bevölkern, macht wieder das ausgrenzende Wort von den „Polacken“ die Runde – bis der zunehmende Wohlstand die Besitzstands-Ängste befriedet.
Als mit den „Gastarbeitern“ der 50er- und 60er-Jahre auch Verteidiger und Mittelstürmer ins Revier kamen, wichen sie den Vorurteilen auf deutscher Seite nicht selten mit Vereinsgründungen aus. So entstanden NK Zagreb Dortmund, TSV Safakspor Oberhausen, Polonia Bottrop oder FK Bosna Duisburg. Und heute besteht die dritte Mannschaft der DJK Teutonia Ehrenfeld in Bochum aus den Flüchtlingen, die gleich neben dem Platz in Containern hausen.
Der Sport als Brennglas
Ob der Fußball Motor der Integration ist? So sehr die gemeinsame Erfahrung von Sieg und Niederlage zusammenschweißt, so sehr stacheln Wettbewerbs- und Leistungsgedanken Rivalitäten an. Vielleicht ist der Fußball doch mehr ein Brennglas, unter dem alles, was die Gesellschaft bewegt, handgreiflich und fußläufig zusammenkommt. Denn selbst bei den Profis, bei denen doch eigentlich nur Qualität und Erfolg zählen, weiß ein Top-Stürmer wie Karim Benzema von Real Madrid: „Schieße ich ein Tor, bin ich Franzose, schieße ich daneben, bin ich Araber.“
Von Kuzorra bis Özil