Bochum. WAZ öffnet Pforten der Vorführzellen im Land- und Amtsgericht. Über 2000 Untersuchungshäftlinge sitzen hier jährlich zu den Hauptverhandlungen ein
„Nur im Glauben liegt eure Erlösung“, hat ein Angeklagter mit zartblauem Kuli auf der vollgekritzelten Wand hinterlassen. Wer hier ausharrt, dem bleibt mitunter nur die Hoffnung auf höhere Mächte. Für 20 Leser war der Knast-Aufenthalt in dieser Woche zum Glück nur eine Stippvisite: Die WAZ öffnete im Rahmen ihrer Sommerserie die Pforten der Vorführzellen des Land- und Amtsgerichts.
Es ist der Inhaber des höchsten Staatsamtes in Bochum, der die WAZ-Gruppe willkommen heißt. „Ich wünsche Ihnen, dass Sie niemals unter anderen Umständen hierher kommen“, sagt der Präsident des Landgerichts, Hartwig Kemner, zur Begrüßung. Nein, über Knacki-Erfahrung verfügt kein Leser. Siegmar Marzinkowski und Sandra Haag kennen sich als Schöffen zwar im Gericht aus. Die Zellen im kühlen Untergeschoss indes haben sie noch nie gesehen.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind streng. Nach den Kontrollen an der Eingangsschleuse müssen die Leser im Vorraum des Zellentrakts Handys und Geldbörsen abgeben. Erst jetzt öffnen sich die schweren Gitterpforten und geben den Blick frei auf 22 Zellen – bestimmt für Untersuchungshäftlinge, die zu ihren Hauptverhandlungen oben in den Sitzungssälen aus der Krümmede und weiteren NRW-Justizvollzugsanstalten zum Husemannplatz gebracht werden.
Zwölf Quadratmeter mit WC
Die WAZ-Gruppe staunt über die Zahlen, die Hartwig Kemner nennt. 1008 Männer und 53 Frauen passierten seit Januar in speziell gesicherten Transportern das massive Rolltor im Gerichtshof. Weit über 2000 sind es binnen Jahresfrist. Ausgestattet mit einem Lunch-Paket ihres „Heimatgefängnisses“, warten sie in der Früh in den Zellen auf den Prozessbeginn und verbringen hier die Pausen, bevor es spätnachmittags retour geht.
„Schön ist anders“, raunt eine Leserin beim Anblick der kargen, zwölf Quadratmeter kleinen Zellen. Holzbank, Tisch, Pritsche mit Schaumstoffmatratze und Wolldecke, Waschbecken ohne Armatur („Auch an einem Wasserhahn kann man sich aufhängen“, weiß ein Wachmann), das WC mittendrin (in anderen Zellen gibt es auch Plumpsklos): Das war’s. Wandmalereien in etlichen Sprachen zeugen von der internationalen Zellen-Besetzung. Dazwischen auch Heimatliches: „Gruß aus Harpen!“, nett gemalt mit rotem Herzchen. Fünf Zellen sind bei der WAZ-Besichtigung besetzt. „Nicht durch den Spion gucken“, bittet der Präsident. Die U-Häftlinge werden heute zwar dem Gericht vorgeführt. „Vorgeführt“ werden sollen sie den Leser aber nicht. Gut so.
Treppen mit Fußfesseln rückwärts laufen
Auch bei den Sitzungen bekommen die Prozessteilnehmer und Besucher die Delinquenten erst bei der Verhandlung zu Gesicht. Zwei Aufzüge führen vom Zellentrakt direkt zu den Sälen. Gefahrenabwehr ist auch hier oberstes Gebot. Solange die gesonderte Gittertür im Fahrstuhl unverschlossen ist, setzt sich der Lift nicht in Bewegung. Randale gebe es so gut wie nie, schildert ein Wachmann. „Drei bis viermal im Jahr ticken Leute aus. Aber das haben wir schnell im Griff.“ Wer als Risiko-Häftling gilt, wird in Handschellen vorgeführt. Oder mit Fußfesseln. So wie heute drei Jugendliche, für die laut Richter Fluchtgefahr gilt. Die Treppen steigen sie rückwärts hoch. Das funktioniert trotz Gliederband.
Arrestzellen
Frei von allen Fesseln treten die WAZ-Leser nach der Führung den Heimweg an. In einem Glauben sind sie bestärkt: dass für die Sicherheit im Gericht alles Menschenmögliche getan wird.
