Bochum-Wattenscheid. . Herbert Müller ist ein Kind der Hochstraße. Dort führt er eine Fleischerei in dritter Generation. Der 63-Jährige kennt die Vorzüge und die Nachteile.

Straßenbahnen fahren alle zehn Minuten in beide Richtungen. Dazu kommt noch der Verkehr, der seit Eröffnung der Ortsumgehung Günnigfeld zwar weniger geworden ist, aber dennoch aufs Gehör schlägt: „Wer will schon an der 302 leben?“, wird Herbert Müller daher oft gefragt. Seine Antwort lautet dann kurz und knapp: „Ich.“

Denn der 63-Jährige „ist ein Kind der Hochstraße“, kennt auch die Vorzüge des Wohnens zwischen Wattenscheid-Mitte und Alte Heide. „Die Haltestelle direkt vor der Haustür ist doch praktisch: In zwanzig Minuten bin ich am Bochumer Hauptbahnhof, von dort aus brauche ich nur eine gute halbe Stunde zum Düsseldorfer Flughafen. Und lande dann in der ganzen Welt.“ Zudem sei der kurze Fußweg – jetzt in kleineren Dimensionen gedacht – in die City, zur Oststraße von Vorteil.

Niedergang als Prozess

Doch sei damit bereits eines der größten Probleme vor Ort angesprochen. Früher zogen sich die Läden dicht an dicht bis weit in die Hochstraße hinein. Von der Fußgängerzone aus gesehen konnten Kunden von Geschäft zu Geschäft gehen, bis sie bei der Fleischerei Müller ankamen. Heute gehört der Geschäftsinhaber, der den Betrieb in dritter Generation führt, dort zu den letzten seiner Art.

Hochstraße in Wattenscheid

Unser Straßenpate Herbert Müller ist nicht „nur“ Metzgermeister. Nein, er darf sich sogar „Ritter derBlutwurst“ nennen.
Unser Straßenpate Herbert Müller ist nicht „nur“ Metzgermeister. Nein, er darf sich sogar „Ritter derBlutwurst“ nennen. © Gero Helm / FUNKE Foto Services
„Wer will schon an der 302  leben?“, werde Müller häufig gefragt.
„Wer will schon an der 302 leben?“, werde Müller häufig gefragt. © Gero Helm / FUNKE Foto Services
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Hinter den Häusern zur Straße verbergen sich zahlreiche grüne Ecken.
Hinter den Häusern zur Straße verbergen sich zahlreiche grüne Ecken. © Gero Helm / FUNKE Foto Services
Die Bausubstanz hat Tradition ...
Die Bausubstanz hat Tradition ... © Gero Helm / FUNKE Foto Services
... ist aber oftmals in die Jahre gekommen.
... ist aber oftmals in die Jahre gekommen. © Gero Helm / FUNKE Foto Services
Vor allem Imbiss-Läden haben sich am Rande der Innenstadt angesiedelt.
Vor allem Imbiss-Läden haben sich am Rande der Innenstadt angesiedelt. © Gero Helm / FUNKE Foto Services
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Die Friedenskirche an der Hochstraße trägt die Hausnummer Zwei.
Die Friedenskirche an der Hochstraße trägt die Hausnummer Zwei. © Gero Helm / FUNKE Foto Services
Hoffnung keimt für die Hochstraße: Die Ecke soll übers Projekt „Soziale Stadt“ gefördert werden.
Hoffnung keimt für die Hochstraße: Die Ecke soll übers Projekt „Soziale Stadt“ gefördert werden. © Gero Helm / FUNKE Foto Services
Wilms-Potthoff: Einst dieHeimat von Fußballer Willi Schulz.
Wilms-Potthoff: Einst dieHeimat von Fußballer Willi Schulz. © Gero Helm / FUNKE Foto Services
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Einzigartige Architektur ...
Einzigartige Architektur ... © Gero Helm / FUNKE Foto Services
... Das Wattenscheider Postamt wurde 1933 eröffnet und stellt eine architektonische Besonderheit dar: Denn stadtweit gilt es als das erste und letzte Beispiel des radikal-modernen Stils. Nachdem die Nationalsozialisten die Macht ergriffen hatten, wurden Bauten dieser Art als „kulturbolschewistisch“ hingestellt und ihre Architekten verfemt.
... Das Wattenscheider Postamt wurde 1933 eröffnet und stellt eine architektonische Besonderheit dar: Denn stadtweit gilt es als das erste und letzte Beispiel des radikal-modernen Stils. Nachdem die Nationalsozialisten die Macht ergriffen hatten, wurden Bauten dieser Art als „kulturbolschewistisch“ hingestellt und ihre Architekten verfemt. © Gero Helm / FUNKE Foto Services
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Aufgewachsen an der Hochstraße, bereits als Kind in der Küche des Großvaters zum Häuten der Zwiebeln eingeteilt, weiß Müller, wovon er spricht. Wann der Niedergang eingesetzt hat, kann er aber schlecht sagen. „Ein schleichender Prozess“, der von der Bochumer Straße aus kommend direkt ins Auge fällt. Wo einst Lotto und Tabakwaren zu bekommen waren, Klein-Herbert seine Knallkörper kaufte, gibt es inzwischen nur noch Pizza auf die Hand. Hinter den Häusern befanden sich anno dazumal Obstbäume, die der benachbarte Bäcker zu nutzen wusste. Wem dieser Tage aber ein Brötchen am Morgen fehlt, muss schon in die Wattenscheider Innenstadt gehen. Überall: viel Leerstand.

„Putzmacherei von Fräulein Weber“

Müller packt die Wehmut beim Blick auf Wilms-Potthoff: „Diese Gaststätte führten damals die Eltern von Nationalspieler Willi Schulz. Der Junge kickte pausenlos im Hof. Ich habe noch eine Postkarte, die er mir von der WM in Chile zukommen ließ – unterschrieben von Sepp Herberger.“ Ein Jammer, wie die Kneipe aussehe.

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Es sind Geschichten wie diese, die der Fleischer reihenweise erzählen könnte: Gegenüber folgt die alte „Putzmacherei von Fräulein Weber“. Das Haus von Petersens, die aus Niebüll stammten und dort eng mit Maler Emil Nolde befreundet waren, besticht durch seinen schönen Garten. „Wir haben hier generell viele schöne grüne Ecken, die von der Straße aus kaum zu sehen sind“, weiß Müller.

„Leuchtturm auf der Insel“

Weiter Richtung Stadt erinnert er sich außerdem an zahlreiche Geschäfte, Apotheken, Möbelhäuser und Modegeschäfte bis zur Ecke am August-Bebel-Platz. „Die Häuser sind schön, aber in die Jahre gekommen. Viele Mieter sind im Laufe der Zeit weggezogen. Das hat die Kaufkraft geschmälert. Die zahlreichen Pachtgeschäfte mussten nach und nach aufgeben.“ Wer einen Film drehen wollte über ein Viertel im Ruhrgebiet, das kontinuierlich an Substanz verliert, findet an der Hochstraße die passende Kulisse.

Als „Leuchtturm auf der Insel“, beschreibt sich Müller. Seine Kunden stammen nicht aus der Ecke, sondern kommen aus anderen, unterschiedlichen Ortsteilen. Er hält sich. Auch, weil sich der Chef in der Pflicht sieht. „Meine Mitarbeiter sind mir teils seit über 30 Jahren treu, wir sind durch dick und dünn gegangen. Da gebe ich nicht auf.“ An Rente denkt er ebenso wenig. „Rentner sind doch andauernd auf der Flucht. Das wäre nichts für mich.“

Zumal Hoffnung keimt: Über den geplanten Stadtumbau, der Förderung „Soziale Stadt“, könnte sich ‘was bewegen. Der gesamte Bereich bis zur Friedenskirche soll dabei neu gestaltet werden. Ein letzter Strohhalm, wie Herbert Müller betont: „Das Stadtteilprojekt ist eine gute Sache. Denn wenn wir nicht aufpassen, haben wir irgendwann Verhältnisse wie im mittleren Westen der USA: Die Einkaufsmeilen – vor allem in den Bezirken – stehen leer, und auf irgendeiner Wiese steht nur noch ein großer Supermarkt.“ Das zu verhindern, würde zu einem Lebensmotto Müllers passen: „Nach Regen kommt Sonne.“

Hochstraße leitet Namen von der Geografie ab 

Die Hochstraße wurde erstmals 1909 unter diesem Namen registriert. Ihr Anfang liegt etwas erhöht gegenüber der Umgebung, daher der Name.</p><p>Zwischen der Friedrich-Ebert-Straße/August-Bebel-Platz und dem Alten Markt bildet die Hochstraße mit der Oststraße die Einkaufsmeile der bis 1975 selbstständigen Stadt Wattenscheid. Trotz mancher Versuche, das Erscheinungsbild der Innenstadt aufzuwerten, „besteht die City in weiten Teilen noch immer aus einer nach Geschäftsschluss menschenleeren Einkaufszone“, liest man im 2010 neu aufgelegten Stadtführer „Bochum entdecken“.

Der August-Bebel-Platz als zentraler Punkt auf der Achse der Hochstraße ist heute Teil einer Durchgangsstraße; einst war er wirklich ein Platz, ab der Jahrhundertwende der Kaiserplatz, nach 1933 der Adolf-Hitler-Platz. Wegen der Größe und zentralen Lage fanden auf dem Kaiserplatz in der Weimarer Republik alle Kundgebungen der Arbeiterbewegung statt.